Bastienne Voss: Drei Irre unterm Flachdach

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Paulina
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Registriert: Sa 19. Jun 2010, 12:34

Bastienne Voss: Drei Irre unterm Flachdach

Beitrag von Paulina »

Bastienne Voss

Drei Irre unterm Flachdach
Eine Familiengeschichte

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©Hoffman und Campe Verlag, Hamburg 2007
Taschenbuchsonderausgabe Oktober 2009
Piper München Zürich
ISBN 978-3-492-26339-9

Lasst euch nicht abschrecken vom Untertitel „Eine Familiengeschichte“!
Ja, es ist eine Familiengeschichte, aber es ist eine irre, eine ungewöhnliche Familiengeschichte, unterhaltsam, ungewöhnlich, lustig und auf eine Art auch tragisch. Die Lustigkeit erkennt man leicht, um die Tragik zu sehen, muss man zwischen den Zeilen lesen.

Ich zitiere mal, den Einführungstext am Anfang des Büchleins. Er fasst den Inhalt prima zusammen, und ich spare mir Arbeit, denn besser geht’s nicht. :wink:
„Die Vossen ihr Opa“ baute einen Bungalow. Der war außen mit Riffelpaste und Alufolie verkleidet und innen mit golden bemaltem Pappstuck verziert. Ein besonderer Luxus waren die Dimmschalter von Tante „Elektra“ aus dem Westen. Hier, unter dem undichten Flachdach, lebten die drei Irren, von denen Bastienne Voss in ihrem Debütroman erzählt: sie selbst, mal „Mausi“, mal „Kröte“ genannt, der durchgeknallte Gustav, ein schrulliger Außenseiter, der sich zuweilen innerhalb von Sekunden in ein brüllendes Ungeheuer verwandeln konnte, und seine Frau, die Schlager singende Wilma.
„Dreizehn Jahre polterte Großvater durch mein Leben. Dreizehn Jahre lang fürchtete ich mich vor dem Tyrannen und Wundertäter, den ich abgöttisch liebte. Und fünfundzwanzig Jahre nach seinem Tod spukt er immer noch in meinem Kopf rum und steuert da oben irgendwas.“
Eine Familiengeschichte voller Humor und Liebe, vor allem für den Großvater, aber auch für das Land, in dem Bastienne Voss aufwuchs.
Klappentext:
Das Personal wirkt so schräg wie das Ambiente: Die Schlager singende Wilma, ihr schrulliger Mann Gustav und deren Enkelin Bastienne hausen in einem aus Teerpappe und Platten zusammengeschusterten Bungalow am Rande Ostberlins. Zu dritt bilden sie eine uneinnehmbare Festung gegen die Tücken des DDR-Alltags in den Siebziger- und Achtzigerjahren…
Die Weise, mit der B.V. ihren Alltag betrachtet, entbehrt jeder Tristesse, stattdessen hatte ich als Leser durch die urkomische, trockene und kindlich-naive Erzählart immer den Eindruck einer gelungenen Kindheit in der sonst so gescholtenen DDR, bis auch Bastienne mit zunehmendem Alter vom Alltag in jenem anderen Land eingeholt wird, und das ist dann nicht mehr so lustig.
Sehr gelungen ist die Charakterisierung des Großvaters. Er ist ein alter Kommunist, der etliche Jahre im KZ verbringen musste, nie darüber sprach, und der gezeichnet war. Er ist die tragische Figur in dieser irren Familie, der sich den Kommunismus zurechtlegt, wie er ihn sieht, der der Westverwandtschaft mit Leidenschaft aus dem Kommunistischen Manifest vorliest und längst begreifen musste, dass in der DDR etwas anderes wuchs, als das, was Karl Marx meinte.

B.V. wurde 1968 in Berlin geboren. Sie absolvierte ein Schauspielstudium und eine Gesangsausbildung, hatte Engagements in den Fernsehserien „GZSZ“ und „Verbotenen Liebe“, an verschiedenen Bühnen und im Kabarett „Distel“.
Man spürt beim Lesen, dass sie keine „gelernte“ Schriftstellerin ist, doch das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Manchmal ist die Sprache derart deftig, dass bei empfindlichen Naturen die Augenbrauen etwas pikiert gen Haaransatz wandern werden. Das ist mir nicht passiert. Es hat mich amüsiert.
Leider „schwächelt“ das Buch gegen Ende etwas. Alles, was in der Nachwendezeit geschieht, wird etwas „hastig“ geschildert. Das ist schade. Trotzdem ist und bleibt diese Büchlein durchaus lesenswert.

In diesem Jahr ist ein weiteres Buch der Autorin erschienen: „Mann für Mann“. Ich denke, dass ich es mir zulegen werde.
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