Der rote Satz

Viele verschiedene Spiele rund um Worte, Silben, Sätze und mehr.
Yumo
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Yumo »

Karneval war im Grunde nicht so recht sein Fall. Trotzdem nahm er gerne die Einladung als "Special Guest" an; es war in den letzten Monaten für seinen Geschmack viel zu still um ihn geworden. So würde er samt Gemahlin nach Flörsheim reisen, abgeblich einer hessischen Fastnachtshochburg.
Seit er von der Einladung erfahren hatte, feilte er an seiner Rede. Die würde der Kracher werden!

Dann war es soweit – der große Tag seiner Rückkehr ins Rampenlicht. Unter donnerndem Applaus betrat er die Bühne. Die Narrenkappe hatte er keck ein wenig schräg aufgesetzt, rückte seine Brille zurecht und begann:

"Hall die Gail,
Alaaf und Helau! – Seid Ihr bereit?
Willkommen zur Beklopptenzeit!
Wir kennen das aus Akte X,
doch Mulder rufen hilft da nix,
das kommt durch Strahlen aus’m All,
und plötzlich ist dann Karneval!

Auf einen Schlag werden alle dämlich,
denn das befiehlt das Datum nämlich!
Es ist die Zeit der tolle Tage,
so eine Art Idiotenplage,
eine Verschwörung, blöd zu werden,
die jährlich um sich greift auf Erden.
Eine wahre Ausgeburt der Hölle,
und Ausgangspunkt davon ist Kölle!

Denn dort gibt’s nicht nur RTL,
das Fernseh-Einheitsbrei-Kartell,
sondern auch eine Menge Jecken,
die sich auf Nasen Pappe stecken,
in Teufelssekten sich gruppieren,
danach zum Elferrat formieren
und dann muß selbst das dööfste Schwein
dort auf Kommando fröhlich sein..."

Weiter kam er mit seiner Rede nicht. Das Publikum johlte und tobte, unsicher grinsend wippte er hinter dem Rednerpult. Schließlich begab sich der Karnevalspräsident zu ihm auf die Bühne:

"Herr Freiherr,
mir san so froh, daß Sie uns dun beglücke,
die Rede dud uns gar sehr entzücke.
Des Publikum, des tobt vor Freud,
denn es tat sisch zeische heut,
daß unsre Urkund en Volltreffer is
da klappert selbst Münchhausen mitm Gebiß.

Drum, lieber Freiherr, möscht isch Ihne,
persönlisch gedippt uff meiner Schreibmaschine,
diese Urkund überreische, die Sie ernenne dud
zum Freiherr von Schummel – is des net gud?"

(Tusch)

Mit versteinerter Miene nahm er das Blatt und verließ hastig die Bühne. Auf dem Weg nach draußen zerriß er wütend diese Ernennungsurkunde. Über Monate wurde der komplizierte Text von ihm mühsamst - unter Vernachlässigung seiner Familie - ins Hochdeutsche übersetzt. Ihn dann so zu verhöhnen, ein abgekartetes Spiel! Diese unverschämten Tölpel!

Prolog: Der Text der Rede ist von Oliver Kalkofe, erschienen in seiner Kolumne "Kalkofes
letzte Worte" in der "TV Spielfilm".
Der Freiherr, er kann’s nun mal nicht lassen...

[Übersetzung für die des Hessischen nicht ganz mächtigen:
Lieber Freiherr,
wir sind so froh, daß sie uns beglücken
die Rede tut uns sehr entzücken.
Das Publikum tobe vor Freude,
denn es zeigt sich heute,
daß unsere Urkunde ein Volltreffer ist,
da klappert selbst Münchhausen mit dem Gebiß.

Darum, lieber Freiherr, möchte ich Ihnen,
persönlich getippt auf meiner Schreibmaschine,
diese Urkunde überreichen, die Sie ernennen tut
zum Freiherr von Schummel – ist das nicht gut?]
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Buchecker
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Buchecker »

Schon zwei veritable Wettbewerbsbeiträge, und die Frist ist noch gar nicht abgelaufen!
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Buchecker
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Buchecker »

Eine knifflige Entscheidung! Beide Texte sind nicht perfekt - die hessische Karnevals-Etüde erscheint (mitten im "Sommer"!) etwas deplatziert, gibt auch hinsichtlich der formalen Gestaltung (Vermischung verschiedener Textarten) und philologischen Redlichkeit (Vermischung eigener und fremder Anteile mit unklarer Trennschärfe; unzureichende Dokumentation der Quellen) Anlass zur Kritik. Eine Kopie des Textes wurde bereits der Arbeitsgruppe "Yumoplag" zur genaueren Prüfung vorgelegt.
Die erzählerische Ausgestaltung einer ehelichen Krise andererseits entbehrt bei aller Detailgenauigkeit doch der atmosphärischen Dichte. Adjektive wie "altbacken" und "fade", die - zu Unrecht, selbstverständlich! - mit trockenem Brot assoziiert werden, könnten sich auch gegen die Erzählung selbst richten. Hier wurde ein auf den Nägeln brennendes Thema klarsichtig erkannt, aber künstlerisch verschenkt; erst zu spät findet die Autorin mit den im Aquarium treibenden Resten einer kleinbürgerlichen Existenz ein aussagekräftiges Bild.
Daher fällt letztlich der Preis, eine bibliophile Erstausgabe von Gottfried August Bürgers Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, gestiftet von der Sammlung Guttenberg, Yumo zu - vorbehaltlich, wie oben angeführt, der Unbedenklichkeitsurkunde durch "Yumoplag".
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Yumo
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Yumo »

Wie soeben von den Betreibern der Plattform Yumoplage verlautete, handelt es sich bei o.g. erwähntem Beitrag um eine grobe Fälschung. Anscheinend sind Hacker in das System eingedrungen und haben dort den erwähnten Beitrag veröffentlicht. Die Betreiber der Plattform distanzieren sich von dieser Veröffentlichung und haben Anzeige gegen Unbekannt erstattet, um die Verantwortlichen dieser plumpen Fälschung zur Strecke zu bringen; des Weiteren unterstützen sie vollkommen die stilistische Kritik der Jury Roter Satz.

Somit zeigt sich, daß die vorbehaltliche Preisverleihung völlig zu Recht erfolgte. Die Jury der Plattform Roter Satz sollte daher erneut tagen, da bislang noch kein Verantwortlicher für diese Fälschung ermittelt werden konnte.
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Buchecker
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Buchecker »

"In dubio pro reo" haaßt es,
drum sach isch dir, nu waastes,
dess du, oh Yumsche, ohne Fraache
un' ohn' Gelaber von de Plaache,
des neuste Sprüschlein sollst verkünde,
dann wer'n ma schon 'ne Antwott finde!
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spiralnebel111
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Re: Der rote Satz

Beitrag von spiralnebel111 »

Ich weiß gar nicht, was Ihr hier macht.
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Kibabu
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Kibabu »

Spiralnebel,
sie drangsalieren uns Heinz-Schenk-Allergiker mit diesem schrecklichen Gebabbel. Als Kind bin ich beim Blauen Bock immer aus Fernseh-Hörweite geflohen.
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spiralnebel111
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Re: Der rote Satz

Beitrag von spiralnebel111 »

Hihi. Ich grüße mal schnell aus Hessen!
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Buchecker
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Buchecker »

Du bist eine von uns, spiralnebel. Das habe ich gleich gemerkt.
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spiralnebel111
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Re: Der rote Satz

Beitrag von spiralnebel111 »

Ich wohne seit langem in Hessen und finde die Hessen ganz prima. Woanders in Deutschland fand ich es nicht so schön, ich sag aber nicht wo. :wink: Da war es mir - ich bin aus Trier - zu exotisch.
Aber jetzt schreibt hier mal schön weiter, vielleicht fällt irgendwann bei mir der Groschen.
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Yumo »

Also gut, inspiriert von Kiba gibt es folgende Wortauswahl (wobei die letzten drei Wörter nichts mit Kiba zu tun haben, denke ich):
- Blauer Bock
- Hessisch
- Gurkensalat
- Schweißfüße
- Auffahrunfall
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Buchecker »

Das kommt dabei raus, wenn man sich von Kiba inspirieren lässt...
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Yumo
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Yumo »

...den Kümmel habe ich vergessen.
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Kibabu
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Kibabu »

Wieder nur Mist im TV. Irgendein Komiker versuchte, auf Hessisch Witze zu reißen. Es war einfach nur anstrengend statt komisch. Xenna schaltete genervt den Fernseher aus, rülpste ungeniert und quälte sich aus dem Sessel. Zeit, schlafen zu gehen. Noch ein Bäuerchen, dieser Gurkensalat wollte wirklich nicht verdaut werden. Hätte sie vielleicht doch auf die zweite Portion so spät am Abend verzichten sollten? Zu spät. Jetzt lag ihr das Abendessen wie ein Stein im Magen, und sie würde vermutlich wieder schlecht schlafen.

Xenna schleppte sich die Treppe hoch und ging ins Schlafzimmer. Xenner schlief schon fest, schnarchte vernehmlich und hatte – pfui Teufel – seine Stinkesocken wie Tretminen auf dem Boden verteilt. Wenn er mittwochs vom Stammtisch kam, war er zu nichts mehr zu gebrauchen, fiel wie ein Stein ins Bett und verpestete die Luft mit Kneipengestank. So auch diesmal: Eine betäubende Mischung aus Schweißfüßen, Schnaps und Zigarettenqualm hing im Raum. Widerlich! Xenna japste und riss schnell das Fenster auf und ließ die kühle Nachtluft hereinströmen. Ihr Angetrauter bewegte sich und rollte zur Seite. Sein neuestes Tattoo wurde sichtbar: ein blauer Bock auf dem Schulterblatt. Ein Ziegenbock. Eine Mittwochs-Abends-Aktion, deren Sinn sich am nächsten Morgen verflüchtigte bzw. in einen Kater verwandelte. Der Kater verging, der Bock blieb.

Xenna schnappte sich Kissen und Decke und flüchtete ins geruchsneutrale Gästezimmer. Es dauerte lange, bis sie mit vollem Magen einschlafen konnte. Sie schlief auch nicht gut, träumte wirres Zeug von einem Auffahrunfall, bei der ihr eine Schüssel Gurkensalat ins Genick flog – oder waren es Heringe in Kümmelsoße? Von Stinkesocken, die sich wie Lemminge aus offenen Fenstern stürzten und von Heinz Schenk mit Tätowierungen an Stellen, die man sich weder im Traum noch im Wachzustand vorstellen möchte.

Arme Xenna! Möge der nächste Mittwoch besser verlaufen!
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Yumo
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Re: Der rote Satz

Beitrag von Yumo »

Sehr schöne Einblicke in das Leben von Xenna und Xenner!
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