Pam Jenoff: Der Kommandant und das Mädchen

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antje
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Pam Jenoff: Der Kommandant und das Mädchen

Beitrag von antje »

Krakau im Zweiten Weltkrieg. Emma und Jakub, ein jüdisches Paar, sind erst kurze Zeit verheiratet, als Jakub in den Widerstand geht und untertaucht. Ihre Eltern werden ins Ghetto verschleppt. Zunächst geht sie freiwillig mit, aber als sie Kontakt zu einigen Widerstandskämpfern bekommt, die auch mit ihrem Mann zusammen arbeiten, kann sie fliehen und erhält eine neue Identität als Christin Anna. Sie lebt jetzt in einem Krakauer Vorort bei Jakubs verwitweter Tante, einer Katholikin, die mit einem Juden verheiratet war. Auch diese hat Kontakte zu der Widerstandsgruppe. Außerdem lebt noch ein kleiner Junge, das Kind eines verschleppten Rabbiners, bei ihnen, der als Annas kleiner Bruder ausgegeben wird.

Als Emma/Anna eines Tages im Haus der Tante auf Georg Richwalder, den stellvertretenden Generalgouverneur der Nazis, trifft, ist dieser gleich von ihr fasziniert. Er bietet ihr eine Stelle als seine Assistentin an, die sie schlecht ablehnen kann, will sie ihre wahre Identität nicht verraten. Außerdem hat sie nun Zugang zu wichtigen Informationen und Unterlagen, die für die Widerstandsgruppe sehr nützlich sein können.

Richwalder verliebt sich in sie, und obwohl Emma ihren Mann über alles liebt und ihn sehr vermisst, fühlt auch sie sich zu Richwalder hingezogen. Immer wieder muss sie sich klar machen, dass er Teil der unmenschlichen Apparatur ist, die ihr und ihrer Familie kein menschenwürdiges Leben ermöglicht und sie sogar in den Tod schickt. Immer wieder bekämpft sie aber auch ihre Schuldgefühle ihrem Mann gegenüber und redet sich ein, es sei wichtig für den Widerstand.

Als Anna schwanger wird (und nicht weiß, von welchem Mann, da sie auch Jakub inzwischen einmal getroffen hat), wird ihre Situation noch schwieriger, denn Richwalder will sie zu ihrem Schutz nach Österreich bringen lassen und sie heiraten. Wiederum mit der Hilfe von Jakubs Tante versucht sie zu fliehen, doch sie läuft Richwalder in die Arme, und die Situation eskaliert, als er ihre wahre Identität erfährt.

Das, was in Romanen, die im Zweiten Weltkrieg spielen, sonst wenig bis gar nicht dargestellt wird, ist hier aufgezeigt: Eine Jüdin entwickelt Gefühle für einen Nazi. Ist das überhaupt möglich? Emma liebt Richwalder nicht wirklich, hegt aber dennoch Sympathie-Gefühle für ihn. Sie sagt sich immer wieder, es sei Anna, die diese Gefühle hegt, sie spiele eine Rolle, doch sie weiß dennoch, dass ein Teil Emma beteiligt ist. Das, was eigentlich unmöglich scheint, wird durch das Buch ? nun, nicht gerade Normalität, aber doch verständlich.

In der weiteren Handlung kommen auch die Vorgänge um die Widerstandsgruppe vielfach zur Sprache: Die Verschwiegenheit, mit der jede Aktion ausgeführt werden muss; die Gefahren, die damit immer verbunden sind; die Vorsicht, die die Menschen unter der Knute der Nazis in jedes Wort, in jede Geste und in jeden Blick legen müssen; die Drahtseilakte, die die Widerstandskämpfer für die Aufrechterhaltung ihrer Doppelleben jeden Tag vollführen müssen ? all das wurde mir sehr deutlich, ließ mich erschauern und dankbar für die Sicherheit sein, in der ich lebe.

Ein kleiner Schwachpunkt des Romans: Die Zerrissenheit der Gefühle sowie die Vorgänge um den Krakauer Widerstand, die nicht jedem bekannt sein dürften, sind etwas plakativ geraten. Sie hätten durchaus noch etwas mehr Tiefe und Detailgenauigkeit vertragen. Aber der Roman liest sich sehr flüssig, ist sehr spannend und auch gut geschrieben und damit alles in allem durchaus lesenswert. Ein Buch, das berührt ? nicht nur, aber auch eine Liebesgeschichte in schwieriger Zeit.
Viele Grüße, Antje
Freundlichkeit ist eine Sprache, die Taube hören und Blinde lesen können - Mark Twain

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