Harry Potter kindergefährdend?

Diskussionen um Kinder- und Jugendliteratur
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babel
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Harry Potter kindergefährdend?

Beitrag von babel »

Liebe Expertinnen und Experten... :-)
Unsere kleine Patchworkfamilie ist verwickelt in einen Streit um Harry Potter. Ich habe dieses Buch als Mainstream-Kritiker bisher vermieden, jetzt aber dochmal reingelesen und fand es lesenswert, spannend, ja sogar gesellschaftskritisch. (zumindest zunächst den ersten Band...). Die Kinder meines Mannes (7 und 10, zwei Jungs) haben von ihrer Mutter ein Verbot bezüglich der Potterbücher, diese Literatur sei schädlich für die kindliche Entwicklung. Ich bin nun etwas im Loyalitätsakonflikt und frage in die Runde: Hat jemand ähnliche Vorbehalte oder kann mir eine qualifizierte Eltern-Meinung zu dieser Literatur sagen? Was habt Ihr für Erfahrungen?
Danke!
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antje
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Beitrag von antje »

Hallo, babel, und herzlich willkommen im Forum!

Ich habe 1. alle 7 Potter-Bände gelesen und 2. zwei Jungs, jetzt im fortgeschrittenen Teenie-Alter, aber als der erste Band rauskam, auch so in etwa dem Alter.

Meine Meinung dazu: "Die kindliche Entwicklung schädigen" finde ich nun doch etwas hoch gegriffen, das tun sie sicher nicht. Ich meine eher, dass die meisten Kinder die Bücher schlicht nicht verstehen können, bevor sie mindestens zehn sind (ausnahmen bestätigen wie immer die Regel). Es soll zwar Millionen von Kindern geben, die die Bücher schon mit 6 oder 7 gelesen haben, aber das halte ich für Quatsch. Wahrscheinlich haben die mal einen Blick reingeworfen, wenn ihre Eltern gelesen haben, und nun meinen die, sie hätten das Buch gelesen (auch hier: Ausnahmen.....).

Ich finde, man fährt gut damit, wenn man die Kinder mit den Büchern "mitwachsen" lässt, denn Harry Potter wird ja im ersten Band 11, und das (also ungefähr 10 oder 11) finde ich für den ersten Band auch ein gutes Einstiegsalter. Je älter Harry Potter wird (also mit jedem Band ein Jahr), desto komplexer werden die Bücher auch. Ich schätze, ein Teenie mit 14 oder so kann auch den 7. Band erfassen. Es kommt ja immer auch auf die individuelle Entwicklung und die Interessen an. Man muss ein Kind also auch gut kennen, um das genau abschätzen zu können.

Ich hab es so gemacht: meine Jungs sind beide - leider - ziemlich lesefaul. Den ersten Band habe ich ihnen vorgelesen, als der große Ende 10 war, der kleinere war Mitte 9. Den zweiten Band haben wir dann abwechselnd gelesen, ca ein halbes Jahr später. Da habe ich dann schon gemerkt, dass der Kleinere das Interesse verlor, er hat sich auch ausgeklinkt, und seinen Fragen habe ich entnommen, dass er vieles noch nicht so begriffen hatte, im Gegenteil zum Großen. Heute ist der knapp 17, und im letzten Herbst hat er sich mit Göga um den letzten Band gestritten, weil jeder ihn zuerst lesen wollte. Der Kleinere, jetzt knapp 16, hat sie nie wieder angefasst und interessiert sich nicht dafür, hat allerdings die ersten drei Filme gesehen.

Kann es vielleicht sein, dass die Mutter die Filme oder einen davon gesehen hat? Denn das ist wieder etwas ganz anderes. Ich bin überzeugt davon, dass ein Kind ein Buch einfach weglegt und vergisst, wenn es noch zu jung dafür ist - ein Buch kann eine kindliche Entwicklung im Normalfall gar nicht schädigen, weil es im Kopf nur die Bilder entstehen lässt, die man verarbeiten kann (das ist jetzt nur so meine Meinung, ich bin keine Psychologin) während du in einem Film die Bilder vorgesetzt bekommst und die manchmal nicht verarbeiten kannst.
Ich würde meine Kinder auf gar keinen Fall die Filme sehen lassen, bevor sie mindestens zwölf sind (der Kleinere war zwölf beim ersten Film und fand den in Teilen noch manchmal ganz schön unheimlich), egal was die FSK sagt. Manche Eltern haben ihre 6-Jährigen für den neuesten Teil mit ins Kino genommen, das fand ich absolut unverantwortlich.

Oder die Mutter ist sehr religiös. Die katholische Kirche möchte nämlich die Bücher am liebsten verbrannt sehen, weil angeblich Hexerei und Zauberei als was Gutes hingestellt werden oder so ähnlich (kein Witz, so hat sie sich tatsächlich geäußert!). Das finde ich nun wirklich total an den Haaren herbeigezogen, aber ich bin auch nicht religiös. Die katholische Kirche hat da vielleicht einen anderen Einblick in die Materie und sieht Dinge, die ich armer Mensch nicht erkennen kann. :wink:

Also Fazit: Nicht unbedingt Bücher für die Kleinen, aber durchaus für (angehende) Teens und Erwachsene. Die Lektüre lohnt sich allemal, Mainstream hin oder her :wink:

Ich hoffe, das hat dir und deiner Familie ein bisschen geholfen bei der Entscheidungsfindung.
Viele Grüße, Antje
Freundlichkeit ist eine Sprache, die Taube hören und Blinde lesen können - Mark Twain

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babel
Beiträge: 4
Registriert: Di 8. Jan 2008, 22:58

Beitrag von babel »

Vielen herzlichen Dank für diese ausführliche Antwort!
Ja, Religiösität spielt bei der Mutter der Kinder eine Rolle, aber ich wollte eine unbefangene Meinung hören, deshalb hab ichs nicht gleich geschrieben. Das Kuriose ist ja, daß in Harry Potter offenbar gerade sehr intoleranten und vorturteilsbeladenen Menschen ein Spiegel vorgehalten wird. Ist denn dann die Kirche gegen alle Bücher, in denen Zauberei vorkommt? Da könnten sie sich ja mit sogenannten Materialisten bzw. "strengggläubigen" Kommunisten die Hände reichen :-) (mein Vater ist einer, er hasst Märchenbücher und alles Phantastische, weil damit schon die Kinder von der Realität abgelenkt und für Glaubensdinge indoktriniert werden oder so...) Ich weiß nicht wie es ein Potter-Auskenner wie Du sieht, aber mir erscheint diese Welt doch als eine gut beobachtete Entlarvung von Dingen, die in unserer Gegenwart passieren; ich würde sogar sagen, man kann es z.T. als politisches bzw. Geschichtsbuch lesen, die Bezüge sind ja auch z.T. recht durchsichtig.
Herzliche Grüße!
Fanny
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antje
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Registriert: Do 22. Sep 2005, 11:39
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Beitrag von antje »

Hallo, Fanny!
Ich weiß nicht wie es ein Potter-Auskenner wie Du sieht, aber mir erscheint diese Welt doch als eine gut beobachtete Entlarvung von Dingen, die in unserer Gegenwart passieren; ich würde sogar sagen, man kann es z.T. als politisches bzw. Geschichtsbuch lesen, die Bezüge sind ja auch z.T. recht durchsichtig.
Das sehe ich absolut genauso. Es gibt aber zahlreiche weitere Anspielungen, auf die griechische Mythologie z. B. oder auf vieles weitere (na ja, ein bisschen hat sie wohl auch beim Herrn der Ringe abgeschaut). Man kann es durchaus mit politisch-geschichtlichen Bezügen lesen (aber lass dir dadurch den Lesespaß nicht verderben :wink: ). Das Faszinierende an den Büchern finde ich auch, dass Rowling scheinbar durchgängig nichts dem ZUfall überlassen hat, dass sie scheinbar schon im ersten Band die gesamte Folge bis zum Finale im Kopf hatte, und zwar recht klar umrissen. Und das finde ich schon recht außergewöhnlich.

Ich bin eigentlich auch kein Fan von Sagen und Mythen - den Herrn der Ringe habe ich, obwohl große Literatur, nie zu Ende gelesen. Aber mit diesen Büchern war es doch was ganz anderes.

Schade, wenn bei der Mutter der Kinder die Religiösität eine so große Rolle spielt, werdet Ihr sie wohl auch kaum von was anderem überzeugen können :cry: Aber trotzdem viel Glück! Na, zur Not können es die Kinder ja nachholen, wenn sie erwachsen sind!
Viele Grüße, Antje
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nobbygard
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Beitrag von nobbygard »

Die Aussage die Kinder mit Harry Potter wachsen lassen (also 11 bis 17) ist völlig korrekt, allerdings jetzt nachdem alle erschienen sind, schwer durch zu halten - daher sind wir als Eltern gefordert, uns unsere Kinder genau "anzuschauen" und eine klare Entscheidung zu treffen.

Meine jüngste Tochter (fast 15) hat mit 11 angefangen HP zu lesen und inzwischen alle "verschlungen" und ich habe keine zusätzliche Gefährdung beobachtet,

Ich habe mich auch lange gegen das Lesen eines Erfolgsbuches gewehrt, aber war auch, nachdem ein Freund mir gesagt hatte, ich müsste sie lesen, sofort infiziert und dann habe ich auf dem 3. Programm eine Sendung über Joanne K. Rowling gesehen und ich muss sagen: Ich gönne ihr den Erfolg, weil sie wirklich etwas Schönes geschaffen hat!

In meinem Angebot habe ich einen (ungelesenen) Band Harry Potter auf Plattdeutsch!

Schönes Wochenende

Nobby
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