Adeline Dieudonné: Bonobo Moussaka

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Vandam
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Adeline Dieudonné: Bonobo Moussaka

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Adeline Dieudonné: Bonobo Moussaka, mit einem Nachwort von Nike van Dinther, OT: Bonobo Moussaka, aus dem Französischen von Sina de Malafosse, München 2021, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28286-4, Hardcover, 111 Seiten, Format: 11,9 x 1,5 x 17,5 cm, Buch: EUR 10,00 (D), EUR 10,30 (A), Kindle: EUR 6,99. Auch als Hörbuch lieferbar.

„Philippe sagt, dass fünfmal Obst und Gemüse am Tag nur eine Mode der Ökoschw*chteln sei, die von der Vegetarierlobby manipuliert würden. […] Ein richtiger kleiner Kerl wie Gabriel brauche einfach seine 400 Gramm Fleisch am Tag. Aus diesem Grund ist Gabriel ein hyperaktiver kleiner Rollmops auf Ritalin.“ (Seite 56)

Ich weiß gar nicht, wie und warum dieses Büchlein in meinen Besitz gelangt ist. Vielleicht habe ich es wegen der Bonobos im Titel angefordert. Oder es war ein Geschenk.

Kurz und von exquisiter Bosheit

Überrascht war ich davon, wie „luftig“ der Text gesetzt ist. Jeder Satz ist ein eigener Absatz. Stellenweise sehen die Seiten aus wie ein Gedicht. Dann habe ich gelesen, dass BONOBO MOUSSAKA auch – oder eigentlich? – ein Theaterstück ist. Eine One-Woman-Show, in der Adeline Dieudonné mit sarkastischem Witz am Beispiel einer Weihnachtsfeier die Probleme der Gegenwart seziert. Oh, das kann ich mir gut auf der Bühne vorstellen! In der Geschichte hat‘s schon ein paar exquisite Bosheiten! Ich würde das gern mal sehen.

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Abb.: © dtv Verlagsgesellschaft

Darum geht’s: Eine allein erziehende Schauspielerin, 36, ist mitsamt ihren Kindern bei ihrem Cousin Martin zum Weihnachtsessen eingeladen. Weitere Gäste: ein befreundetes Ehepaar mit ihren vier Söhnen.

So gehässig, wie die Schauspielerin ihre wohlhabend-spießige Verwandtschaft und deren repräsentatives Haus am Stadtrand beschreibt, fragt man sich, warum sie da überhaupt hingegangen ist. Die Antwort liefert sie uns prompt: Geschäftsführer Martin, den sie mit einem treudoofen Labrador vergleicht, ist – neben ihren Kindern – ihr einziger noch lebender Verwandter. Seine Frau, die Notarfachangestellte Françoise, kommt bei ihr auch nicht gut weg. Diese Langweilerin lebt mit ihrem faden Labrador-Gatten doch nur in einer Zweckgemeinschaft - meint jedenfalls die Schauspielerin.

Ein geselliger Abend entgleist

Da ist der weitere Gast, der Banker Philippe, schon ein anderes Kaliber. Ein klassisches Alphamännchen, mit einem Trophy-Wife, das keine eigene Meinung hat. Und mit vier ausgesprochen ungezogenen Söhnen. Wenn Martin ein Labrador ist, dann ist Philippe ein Rottweiler, stets bereit, den anderen an die Gurgel zu gehen. Da muss man permanent auf der Hut sein.

Philippe wäre ja ganz interessant – wenn er nur nicht ständig so dummes Zeug labern würde! Ob Sparpolitik, Zuwanderung, die Klimakatastrophe oder die ungleiche Verteilung der Ressourcen: zu allem hat Philippe eine nicht ganz durchdachte populistische Meinung.

Philipp erzählt Unsinn …

Die Schauspielerin gibt sich alle Mühe, nicht mit ihm zu diskutieren. Lieber lässt sie ihre Gedanken abschweifen … in ihre Kindheit und Jugend … zu ihrer schönen aber flatterhaften und egozentrischen Mutter … zum Exfreund, der hauptberuflich ein Troll war. Echt, wirklich! Und im Zuge dieser Erinnerungen erfahren wir auch, was es mit dem Bonobo-Moussaka auf sich hat. Nein, keine Sorge: Niemand hat hier Menschenaffen zu einem Hackfleischgericht verarbeitet!

… die Schauspielerin widerspricht nur im Geist

Sie hört Philippes Geschwätz zwar nur mit halbem Ohr zu, zerpflückt im Geiste aber jede seiner Aussagen. Und das macht sie sehr gekonnt. Man könnte laut loslachen – wenn es nicht so erschreckend wäre, dass Leute mit Philippes Ansichten an den Schaltstellen der Macht sitzen.

Wenn man genau hinschaut, ist dieser Rottweiler-Philippe doch ein ziemlicher D*pp. Warum eigentlich hofiert Martin ihn derart? Damit ist sowieso Schluss, als die anwesenden Kinder sich wegen einer Barbiepuppe streiten. Und die ach so langweilige Françoise steigt steil in der Achtung der Schauspielerin, weil sie es als einzige wagt, dem großspurigen Philippe Paroli zu bieten.

Sieh an, Françoise zeigt Zähne!

Wie’s aussieht, ist die unscheinbare Françoise soeben spielend mit einem ausgewachsenen Rottweiler fertiggeworden. Womöglich hätte sie das Zeug zu einem erstklassigen Rottweilerweibchen. Aber sie ist nun mal an Labrador Martin gebunden. Das hat sie mal geschworen. Die Familie scheint religiös zu sein, da bricht man nicht einfach einen Schwur.

Am Ende dieses denkwürdigen Abends hat die Schauspielerin das Bedürfnis, sich bei ihren Kindern zu entschuldigen – dafür, dass sie sie in eine Welt gesetzt hat, in der rücksichtslose Hohlköpfe wie Philippe das Sagen haben. Die Kids hätten eine bessere Zukunft verdient.

Wenn man sich das nur merken könnte!

Ja, so ein aus dem Ruder laufendes gesellschaftliches Ereignis ist schon sehr amüsant – solange man, wie wir Leser:innen hier, unbeteiligter Zuschauer ist! 😉 Gemeinheiten mit Sinn und Verstand … das hat mir gut gefallen. Ich wünschte, ich könnte mir die Argumentationsketten der Schauspielerin merken, denn damit könnte ich selbst den einen oder anderen Dummschwätzer zerlegen. Das, was Philippe an Phrasen von sich gibt, kriegt man in der realen Welt oft genug zu hören.

Das Nachwort hätt’s jetzt nicht gebraucht

Das hochgelobte Nachwort von Nike van Dinther hat mir keinen großen Erkenntniszuwachs verschafft. Ich gestehe, dass ich erst googeln musste, wer die Dame ist. Das wird hier als bekannt vorausgesetzt. Aha: eine der erfolgreichsten Modebloggerinnen unsers Landes. Tut mir leid, diese Tatsache ist komplett an mir vorbeigegangen. Vielleicht eine Altersfrage.

Frau van Dinther macht sich in einer wunderschönen Sprache kluge Gedanken zu Adeline Dieudonnés Roman. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob das an dieser Stelle wirklich nötig ist. Ich als Leserin mag nicht so intelligent und wortgewaltig sein wie sie, aber ich brauche eigentlich niemanden, der mir die vorliegende Geschichte interpretiert. Denken kann ich selbst.

Die Autorin

Adeline Dieudonné, geboren 1982, lebt mit ihren Töchtern in Brüssel. Nach mehreren preisgekrönten Erzählungen und einem erfolgreichen One-Woman-Theaterstück entwickelte sich ihr Romandebüt ›Das wirkliche Leben‹ zu einem großen internationalen Bestseller. Sie wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet und in über zwanzig Sprachen übersetzt. Seitdem erschienen bei dtv der Text ›Bonobo Moussaka‹ sowie der Roman ›23 Uhr 12‹.

Die Übersetzerin

Sina de Malafosse, geboren 1984, lebt als Übersetzerin und Lektorin in Toulouse. Sie übersetzt u. a. Pauline Delabroy-Allard, Jean-Paul Didierlaurent und Victor Jestin.
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