Birgit Ebbert: Den Traum im Blick. Roman aus dem Film-Berlin der 30er Jahre

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Vandam
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Birgit Ebbert: Den Traum im Blick. Roman aus dem Film-Berlin der 30er Jahre

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Birgit Ebbert: Den Traum im Blick. Roman aus dem Film-Berlin der 30er Jahre, Hamburg 2022, tredition GmbH, ISBN 978-3-347-72778-6, Softcover, 464 Seiten, Format: 12 x 3,2 x 19 cm, Taschenbuch: EUR 16,00, gebundenes Buch: EUR 24,00, Kindle: EUR 9,99.

Veronika lachte. Sie konnte sich nicht beruhigen. „Mein Lieber Alexander, ganz Berlin weiß, dass du hinter der Kirchner her bist wie der Teufel hinter der armen Seele.“
Er zog die Stirn kraus. Stimmte das? Kannte jeder seinen Traum, der erste Biograf von Herti Kirchner zu werden?“
(Seite 174)

Berlin in den 30er-Jahren: Zwei Menschen haben in dieser Geschichte ihren Traum im Blick und ordnen dem alles andere unter: Die (reale) Schauspielerin Herti Kirchner und der (fiktive) Journalist Alexander Halbersberg.

Der Arztsohn und die Dachdeckertochter sind beide in Kiel geboren und aufgewachsen, kennen einander aber nur vom Sehen und Hörensagen. Sie ist ein paar Jahre jünger als er, da hat man nicht unbedingt denselben Bekanntenkreis. Erst in Berlin kreuzen sich ihre Wege.

Das geschieht nicht ganz zufällig: Alexander hat, zum Entsetzen seiner Eltern, sein Medizinstudium geschmissen und schreibt jetzt als Journalist Filmkritiken für eine Zeitung. Dabei soll es nicht bleiben. Er will mindestens so berühmt werden wie Erich Kästner, und sei es, um seinem Vater zu beweisen, dass er es auch außerhalb der Medizin zu etwas bringen kann. Alexanders Plan: sich an einen aufstrebenden Filmstar zu hängen und quasi in dessen Windschatten als dessen Biograf zu Ruhm und Ehre zu kommen.

Berühmt werden im Windschatten eines Stars

Marlene Dietrich wäre eine geeignete Kandidatin gewesen, aber sie geht ja leider nach Amerika. Das kann Alexander sich nicht leisten. Also muss ein neuer aufgehender Stern am Künstlerhimmel her. Wie wär’s mit Herti Kirchner? An die müsste doch heranzukommen sein. Sie stammen aus derselben Stadt, sie haben dort wie hier in Berlin gemeinsame Bekannte, das wäre doch ein Anknüpfungspunkt! Talentiert, fleißig und gut vernetzt ist die attraktive junge Künstlerin auch. Also, nichts wie ran!

Ganz so einfach ist es dann doch nicht, aber sein Kumpel, der Buchhändler Johannes Unger, kennt Herti Kirchner gut und versorgt ihn mit Informationen. Und auch so schnappt der Journalist über Dritte und zufällig belauschte Gespräche einiges auf. Seine Stoffsammlung wächst. Jetzt muss Herti nur noch so richtig berühmt werden, damit es für seine geplante Biografie auch einen Markt gibt. Auch das ist nicht so leicht. Immer wieder hat die Schauspielerin Rückschläge und Enttäuschungen zu verkraften, aber sie verfolgt ihren Traum von der Karriere ebenso unbeirrt wie Alexander den seinen.

In der Redaktion bleibt seine Obsession für die Schauspielerin nicht verborgen und die Kollegen ziehen ihn mächtig mit „seiner“ Herti auf. Dabei ist sein Interesse wirklich nur beruflicher Natur. Liiert ist er mit Veronika Pauly, einer etwas anstrengenden Anwaltstochter mit Schauspiel-Ambitionen.

Harte Zeiten für große Träume

Eine Weile läuft es gut, sowohl für Herti als auch für Alexander. Doch als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird’s für beide schwierig. Herti bereiten ihre Arbeit im Kabarett und ihr Freundeskreis Probleme. Sie ist mit Erich Kästner liiert und unter anderem mit dem Zeichner und Karikaturisten Erich Ohser (e. o. plauen) befreundet.

Alexander weigert sich erst aus reinem Widerspruchsgeist in die Partei einzutreten, weil sein Vater so ein hundertfuffzigprozentiges Parteimitglied ist. Und auf einmal stellt er fest, dass er viel größere Probleme hat als eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung: Er scheitert am neuen Schriftleitergesetz. Er kann notwendige Papiere nicht beibringen und ist bald seine Festanstellung beim Verlag los. Mit Freundeshilfe und mehr oder weniger dubiosen Jobs hält er sich über Wasser, verliert dabei aber nie Herti Kirchners berufliche Laufbahn aus den Augen. Sie hat ja noch Arbeit, auch wenn ihre Freunde bei der Regierung in Ungnade gefallen sind. An der Seite bekannter Filmgrößen dreht sie mehr oder weniger seichte Komödien, sie arbeitet für den Rundfunk und am Theater und schreibt auch noch Kinderbücher. Ihr großer Durchbruch ist nur noch eine Frage der Zeit.

Wann fliegt alles auf?

Eine Frage der Zeit ist es auch, wann Alexander auffliegt. Der Job ist schon weg. Seine Wohnung wird er auch nicht mehr lange halten können. Emigration ist für ihn kein Thema, es sei denn, Herti Kirchner verließe ebenfalls das Land. Danach sieht es aber derzeit nicht aus, und so kann sich sein Traum nur hier in Berlin erfüllen und er muss auf Gedeih und Verderb hierbleiben.

Was aus Herti Kirchner geworden ist, habe ich irgendwann im Vorfeld mal gegoogelt, als ich wusste, dass ich DEN TRAUM IM BLICK lesen würde. Bei realen Personen ist das ja möglich. Und so bestand für mich die Spannung hauptsächlich in der Frage, wie Alexander Halbersberg sich durchwurstelt und ob er es schaffen wird, rechtzeitig das Land zu verlassen.

Ein paarmal war ich wirklich versucht, ihn zu googeln und zu schauen, ob er nach dem Krieg vielleicht in den USA oder sonstwo auf der Welt eine nennenswerte Karriere gemacht hat. Dabei wusste ich doch, dass er eine fiktive Figur ist! Entweder liegt’s an der Art, wie Birgit Ebbert ihn und das, was ihn umtreibt beschreibt oder daran, dass er hier im Umfeld so vieler bekannter/historischer Persönlichkeiten auftritt: Für mich fühlte sich diese Romanfigur jedenfalls verflixt real an! Ich habe sehr mit ihm mitgefiebert und mitgelitten. Es waren ja auch wahrhaft beklemmende, furchterregende und gefährliche Zeiten!

Der fiktive Held wirkt sehr real

Manchmal hätte ich den Helden schütteln können. Früher als er habe ich geahnt, was wohl das Problem seiner Vermieterin ist. Na ja, vielleicht hätte ihm das Wissen darum gar nicht viel geholfen. Aber dass er die Emigration so ablehnte, obwohl er alle Chancen hatte, das hat mich wirklich fertiggemacht. So ist das eben, wenn man einen Roman über vergangene Zeiten mit dem Wissen von heute liest.

Für mich war Herti Kirchners Leben und Werk hier eher ein Aufhänger für die mitreißende Geschichte eines fiktiven Journalisten als dass es ein Buch über sie selbst war. Trotzdem will ich jetzt doch mal sehen, wie sie als Schauspielerin war und was sie gemacht hat. Ich habe mir eine DVD des Films „Der Florentiner Hut“ bestellt, den sie 1939 an der Seite von Heinz Rühmann gedreht hat. Den Film habe ich vor Urzeiten mal im Fernsehen gesehen, aber damals natürlich nicht speziell auf Herti Kirchner geachtet. Dieses Mal werde ich es ganz bewusst und aufmerksam tun.

Die Autorin

Dr. Birgit Ebbert ist seit über 15 Jahren als freie Autorin tätig und schreibt für verschiedene Verlage Romane, Kinder- und Jugendbücher, Lernhilfen, Ratgeber und Erinnerungsgeschichten. Sie wuchs im Münsterland auf, lebte einige Jahre in Stuttgart und Bochum und betrachtet heute Hagen als ihre Wahlheimat. Nach einem Studium in Münster und Bonn mit dem Abschluss als Diplom-Pädagogin arbeitete sie fast 20 Jahre in Bildungseinrichtungen und promovierte in Bonn neben ihrer Berufstätigkeit mit einer Arbeit über Erich Kästner, dabei studierte sie zusätzlich zu Pädagogik und Psychologie noch Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik.
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