Johan Eklöf: Das Verschwinden der Nacht. Wie künstliches Licht die uralten Rhythmen unserer Umwelt zerstört

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Vandam
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Johan Eklöf: Das Verschwinden der Nacht. Wie künstliches Licht die uralten Rhythmen unserer Umwelt zerstört

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Johan Eklöf: Das Verschwinden der Nacht. Wie künstliches Licht die uralten Rhythmen unserer Umwelt zerstört, OT: Mörkermanifestet. Om artificiellt ljus och hotet mot en ursprunglig rytm, aus dem Schwedischen von Ulrike Strerath-Bolz, München 2022, Droemer Verlag, ISBN 978-3-426-27882-6, Hardcover mit Schutzumschlag, 237 Seiten, Format: 13,2 x 20,9 x 2,4 cm, Buch: EUR 22,00 (D), EUR 22,80 (A), Kindle: EUR 18,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Wenn wir unsere Abende und Nächte heller machen, verwirren wir nicht nur den zirkadianen Rhythmus der Tiere, sodass sie nicht mehr wissen, wann sie sich verstecken und wann sie auf die Jagd gehen sollen. Wir nehmen darüber hinaus sowohl den Beutetieren als auch den Räubern die Möglichkeit, ihre Verstecke zu tarnen.“ (Seite 126)

Es ist ja schön für uns Menschen, dass vor rund 150 Jahren jemand die Glühbirne erfunden hat. Für die Natur ist das allerdings weniger gut. Hätten wir auf damaligem Niveau weiter vor uns hingefunzelt, wären die Auswirkungen vermutlich nicht so dramatisch verlaufen. Aber wir haben uns lichttechnisch enorm weiter entwickelt, fast überall auf der Welt die Nacht zum Tag gemacht - mit gravierenden Folgen für die Tier- und infolgedessen auch für die Pflanzenwelt.

1/3 aller Wirbeltiere und 2/3 aller Wirbellosen sind nachtaktiv. Wir Menschen sind in der Dunkelheit nicht zu Hause sondern eher „zu Besuch“. Und weil uns die Dunkelheit fremd, unheimlich und lästig ist, beleuchten wir den Planeten, ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen.

Kunstlicht verwirrt die Tierwelt

Lebewesen haben einen „zirkadianischen Rhythmus“, eine innere Ernährungs- und Schlafuhr. Und dieser Rhythmus folgt dem Rhythmus zwischen hell und dunkel. Das war schon bei den ersten Mehrzellern vor Millionen von Jahren so, Und seitdem erwarten die Körper der Lebewesen „Licht und Dunkelheit in sich wiederholenden kurzen und längeren Rhythmen.“ (Seite 20). Schlafen, wach sein, Beute machen, sich fortpflanzen, all das richtet sich danach. Künstliches Licht, das es draußen zur Unzeit hell werden lässt, bringt dieses System durcheinander.

Insekten halten unsere künstlichen Lichtquellen für den Mond, umschwirren und umflattern sie bis zur völligen Erschöpfung und kommen nicht mehr dazu, ihre Insekten-Angelegenheiten zu erledigen. Und weil Insekten ja einen „Job“ haben – z.B. Blüten bestäuben oder anderen Tieren als Nahrung zu dienen – hat ihr Fehlen weitere Auswirkungen.

Das Timing stimmt nicht mehr

Künstliches Licht kann bei Insekten auch die Bildung von Pheromonen hemmen oder bewirken, dass potenzielle Partner einander nicht mehr sehen und erkennen können, wenn sie dabei auf Dämmerung oder Dunkelheit angewiesen sind wie z.B. die kreideweiße Geistermotte oder die Glühwürmchen. Wie sollen die in einer zu hellen Umgebung zueinanderfinden? Das geht den Heuschrecken ganz ähnlich: Die zirpen aufgrund von zu viel Helligkeit überhaupt nicht mehr oder zur falschen Zeit. Dadurch locken sie keinen Partner an, sondern Fressfeinde. Und manche Insekten denken, es sei dauernd Vollmond und trauen sich aus Angst davor, gesehen und gefressen zu werden, gar nicht mehr vom Boden weg.

Nachtfliegende Vögel verirren sich und kommen vom Kurs ab, weil das Licht ihnen eine falsche Position suggeriert. Auch das Hormonsystem der Vögel wird durch Kunstlicht beeinflusst. Manche Stadtvögel profitieren davon. Sie werden früher paarungsbereit als ihre Verwandten auf dem Land und haben mehr Zeit, ihre Jungen aufzuziehen. Sie „schaffen“ manchmal sogar mehrere Gelege in einer Saison. Wenn’s aber dumm läuft, schlüpfen die Jungen, wenn noch gar nicht genug Futter vorhanden ist.

Nicht nur Vögel haben dieses Problem: Eine Känguruart auf einer Insel vor der australischen Küste lässt sich von den Scheinwerfern der dortigen Militärbasis verwirren. Das Licht hab für sie die falsche Wellenlänge. Der gesamte Reproduktionsprozess wird verschoben und die Jungen kommen erst zu einer Zeit im Jahr zur Welt, wenn es fast schon zu spät ist.

Selbst Pflanzen kommen durcheinander

Sogar Bäume können durch künstliches Licht durcheinanderkommen und „vergessen“, ihre Blätter abzuwerfen, weil sie „glauben“, dass noch immer Sommer sei. Die globale Erwärmung plus die Lichtverschmutzung verstellen die innere Uhr vieler Pflanzen, so dass das Timing zwischen den Blüten und denen, die die Blüte brauchen, nicht mehr stimmt.

Frisch geschlüpfte Meeresschildkröten, die eigentlich dem Mondlicht folgen und vom Strand ins Meer eilen sollten, halten die hell erleuchtete Stadt für ihr Ziel und wuseln in die falsche Richtung. Ihr Todesurteil. 200 Millionen Jahre alte Instinkte werden durch unser künstliches Licht mal eben außer Kraft gesetzt.

Borstenwürmer, Seefedern, Fische, Krabben und Weichtiere, die abhängig vom Zu- und Abnehmen des Mondes sind, um zu wissen, wann es Zeit ist, eine neue Lebensphase einzuleiten, werden verwirrt, und nichts klappt mehr, wie es soll. Aber auch im Wasser gibt’s Profiteure: Orcas folgen Fischerbooten und können so ohne Sonar in deren Scheinwerferlicht jagen.

Damit schaden wir uns selbst

Für alle, die jetzt meinen, das sei ja nur ein Problem „einiger Viecher“, haben Biologen und Ökonomen den Begriff der „Ökosystemdienstleistungen“ geschaffen. Damit bewerten sie das, was Tiere in freier Natur „leisten“ in Euro und Cent. Es ist erstaunlich, was allein die „Arbeit“ der Fledermäuse für uns wert ist. Schließlich betreiben sie Schädlingsbekämpfung, bestäuben Pflanzen, verbreiten Samen, produzieren Dünger und weil sie die Anopheles-Mücken vertilgen, die Malaria verbreiten, sind sie auch noch in der Gesundheitsvorsorge tätig. Wenn wir also Tieren wie den Fledermäusen das Leben schwer machen, schaden wir auch uns selbst.

Aber tun wir das nicht sowieso? Durch „Festbeleuchtung“, Schichtarbeit und Medienkonsum stören wir unseren eigenen Melatoninzyklus. Wir werden nicht zur richtigen Zeit müde und bekommen zur falschen Zeit Hunger – und das kann zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen.

Was können wir tun?

Wir können nicht 150 Jahre zurückgehen und der Welt ihre Nacht zurückgeben. Aber es gibt technische Mittel, die die Auswirkungen der künstlichen Beleuchtung auf die Natur etwas abmildern. Vereinzelt setzt ein Umdenken ein. Es gibt „Dark Sky Parks“ – und es gibt mancherorts gesetzliche Bestimmungen, die die Lichtemission in die Atmosphäre regeln. Und wir erfahren auch, was jeder einzelne von uns tun kann, um die Lichtverschmutzung zu verringern.

Ein Freund der Finsternis 😉

Wissenschaftlich fundiert und aus eigenem Erleben erzählt der Autor – Zoologe und Fledermausforscher – anschaulich von der gefährdeten Dunkelheit. Das macht er spannend und mitreißend. Man hat regelrecht das Gefühl, man begleite ihn auf seinen nächtlichen Streifzügen durch die Natur. Gut, gegen Schluss hatte ich ein bisschen den Eindruck, dass jetzt noch ein paar Seiten gefüllt werden mussten. Er macht das mit astronomischen, philosophischen und architektonischen Betrachtungen der Dunkelheit. Das hatte ich hier nicht erwartet und ich habe diese Kapitel auch eher quergelesen. Bei „dunkler Materie“ und dergleichen steige ich intellektuell sowieso aus. Ich war ja auch in erster Linie an der Wirkung des Kunstlichts auf die Biologie interessiert und daran, ob und wie noch was zu retten ist.

In seinem zweiseitigen MANIFEST FÜR DIE DUNKELHEIT appelliert Eklöf an uns und unsere Mitwirkung. Ich werde mich bemühen, so viel wie möglich davon zu beherzigen.

Der Autor

Johan Eklöf (*1973) ist promovierter Zoologe und einer der profiliertesten schwedischen Fledermausexperten. Er lebt im westlichen Teil Schwedens, arbeitet als Naturschützer und berät Behörden, Stadtplaner und Organisationen zu den Themen Nachtökologie und naturfreundliche Beleuchtung.

Die Übersetzerin

Ulrike Strerath-Bolz übersetzt seit mehr als 30 Jahren Sachbücher und Romane aus dem Englischen, Französischen und den skandinavischen Sprachen. Zu „ihren“ Autor*innen gehören u. a. Richard Rohr, Terry Eagleton und Mike Wiking, aber auch Barbara Erskine und Mary Higgins Clark.
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