Catrin Ponciano: Rache im Alentejo. Kriminalroman

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Vandam
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Catrin Ponciano: Rache im Alentejo. Kriminalroman

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Catrin Ponciano: Rache im Alentejo. Kriminalroman, Köln 2022, Emons Verlag, ISBN 978-3-7408-1574-5, Softcover, 255 Seiten, Format: 13,7 x 2,5 x 20,2 cm, EUR 13,00 (D), EUR 13,40 (A), Kindle: EUR 9,99.

Zwei Jahre ist es her, dass die Inspetora Chefe (Kriminalhauptkommissarin) Dora Monteira, Anfang 40, ihren Dienst bei der Kripo in Lissabon quittiert hat. Seitdem verdient sie ihre Brötchen als Künstlerin. Sie war eine gute Polizistin, aber als eigensinnige kreolische Frau nicht systemkompatibel.

Offenbar ist es ihr nicht vergönnt, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Aus heiterem Himmel bekommt sie einen Anruf von Tomas Maia, einem Freund aus Teenagertagen, den sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Von einem Tag auf den anderen war er spurlos verschwunden und hat nie wieder von sich hören lassen. Bis eben.

Jugendfreund unter Mordverdacht
In Brasilien habe er gelebt, erzählt Tomas, und dort Meeresbiologie studiert. Vor ein paar Monaten ist seine Mutter gestorben, und seitdem ist er wieder in der alten Heimat: in Carrasqueira im Alentejo, dem armen Süden Portugals. Dort arbeitet er im Institut für Meeresforschung und engagiert sich für das Wasserschutzgebiet am Sado und der Costa Azul. Aber jetzt hat er ein fettes Problem, und deshalb ruft er Dora an: Er steht unter Mordverdacht. Das Opfer: Gustavo, der Sohn des örtlichen Großgrundbesitzers Americo Carvalho.

Nun ist Tomas beileibe nicht der einzige Mensch, der mit dem einflussreichen Carvalho-Clan eine Rechnung offen hat. Aber das Opfer wurde just an der Korkeiche aufgeknüpft, an der man vor 30 Jahren Tomas‘ Vater, den Fischer Guilherme Maia, erhängt gefunden hat. Tomas hat sich nie der allgemeinen Auffassung angeschlossen, sein Vater habe Suizid begangen. Guilherme hatte sich mit den Carvalhos angelegt, und Tomas ist fest davon überzeugt, dass die ihn damals umgebracht haben. Und die örtliche Polizei hat’s vertuscht.

Rache nach 30 Jahren?
Dora hält das für denkbar. Doch als das geschehen ist, war Tomas noch ein Kind. Warum hätte er mit seiner Rache 30 Jahre warten sollen? Was hat die Polizei überhaupt gegen ihn in der Hand? Nicht viel, wie es scheint. Dora packt ein paar Sachen und fährt nach Grandola, wo Tomas in U-Haft sitzt. Sie wird alles tun, um ihn herauszupauken, auch wenn er sich sehr verändert hat und offenbar nicht die ganze Wahrheit sagt. Warum hat er sie hergerufen, wenn er ihr nicht traut?

Außer ihren Jugendfreunden Mario Ramalho und dessen Schwester Ana, die in Comporta eine Kneipe betreiben, scheint sich niemand über Doras Rückkehr zu freuen. Den Carvalhos und ihren Polizistenfreunden stinkt ihre Einmischung ebenso wie ihren Ex-Kollegen aus Lissabon, die jetzt im Mordfall Gustavo Carvalho ermitteln. Vor allem Inspektor Sergio Cardoso will sich nicht von seiner ehemaligen Vorgesetzten ins Handwerk pfuschen lassen. Sie ist keine Polizistin mehr und darf sich nicht als solche ausgeben. Tut sie aber. Dass sie Ressourcen der Polizei und alte Kontakte nutzt, ist auch nicht korrekt.

Ein Mann mit Vergangenheit
Einer immerhin ist hin und weg von Dora Monteiro. Aber der ist fremd in der Gegend und hat keine Ahnung von ihren Plänen und ihrer Vorgeschichte: Ricardo Mendes, der neue Gutsverwalter der Carvalhos. Die Anziehung ist wechselseitig. Dora wundert sich zwar ein wenig, dass Ricardo sich so unerschrocken für ihre Ermittlungen engagiert. Für einen Bürohengst ist das eher ungewöhnlich, aber gut … Doch auch Ricardo Mendes hat eine Vergangenheit, über die er nicht gerne spricht.

Eine Werbetafel für eine geplante Feriensiedlung bringt Dora ins Grübeln. Sie kennt die Gegend hier, und mit der abgebildeten Karte stimmt was nicht. Sie forscht nach stößt und auf ein Bauvorhaben, das nicht nur aus Naturschutzgründen problematisch ist. Wer profitiert von diesem Deal und wer zieht dabei die A****karte?

Geht’s ums Geld?
Hat der Mord an Gustavo Carvalho am Ende gar nichts mit Guilherme Maias gewaltsamen Tod von vor 30 Jahren zu tun? Geht’s hier in Wahrheit ums große Geld? Oder liegt das Motiv in den familiären Spannungen? Die gibt’s bei den Carvalhos reichlich.

Als ältere Mitbürger zu Dora Vertrauen fassen und zu reden beginnen, bringt sie das auf eine Spur, die zurückführt in die Zeit der Nelkenrevolution von 1974. Was immer noch nicht klar ist: Wie Tomas in den Fall verwickelt ist. Der ist wieder mal spurlos verschwunden. Ist er aus der Untersuchungshaft getürmt und untergetaucht? Das ist eher unwahrscheinlich …

Man muss den ersten Band LEISER TOD IN LISSABON nicht kennen, um der Handlung folgen zu können. Vielleicht fühlt man sich bei manchen Dialogen zwischen Dora und ihren Ex-Kolleg:innen ein wenig ausgeschlossen, aber man kommt bei der Geschichte gut mit.

Kein 0815-Schauplatz!
Nun ist Portugal kein 0815-Schauplatz für einen Krimi. Wer die Gegend, in der der Kriminalroman spielt, nicht kennt und sich zunächst die jüngere Geschichte des Landes in Erinnerung rufen oder sich gar erst schlau machen muss, der ist erst einmal damit beschäftigt, sich zu orientieren. Wer ist das? Wo ist das? Was ist das für eine Region? Wie sieht es da aus? Welche Probleme haben die Menschen dort? Was war vor 50 Jahren und wie wirkt das bis heute nach?

Das ist sehr interessant, weil man Dinge erfährt, die man bisher vielleicht gar nicht auf dem Schirm gehabt hat. Man läuft aber auch Gefahr, dezente Hinweise zu überlesen, während man all die Fakten sortiert. Nach knapp der Hälfte des Romans war ich hinreichend im Bilde und meine Krimileserinnen-Instinkte haben wieder funktioniert (z.B. beim Schicksal Vasco Carvalhos). Wer Gustavo Carvalho auf dem Gewissen hat, habe ich aber nicht vorzeitig herausbekommen. Na gut, wenn selbst gestandene Kriminalpolizisten eine Weile dafür gebraucht haben, ist das auch keine Schande. Wir Leser:innen bekommen auch nicht viel mehr Informationen als Dora und ihre Mitstreiter.

Unangepasste Heldin
Ich mag die unangepasste Heldin und fand die Handlung spannend und nachvollziehbar. Dass man ein bisschen mehr aufpassen muss, wenn ein Krimi auf unvertrautem Terrain spielt, ist für mich in Ordnung. Es brauchen nicht immer die Schauplätze zu sein, die man schon aus dem Effeff kennt. Abwechslung tut gut. Ich wäre auch bei einer weiteren Fortsetzung wieder dabei. Jetzt würde ich nämlich gerne wissen, wie das weitergeht mit Dora und Ricardo. Die werden sicher noch öfter in Kriminalfälle hineingezogen werden. Weil sie keine Polizisten sind, müssen sie bei ihren Aktivitäten auch nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes handeln. Sie dürfen sich nur nicht erwischen lassen!

Bei der räumlichen Orientierung hilft uns Leser:innen die doppelseitige Landkarte im Anhang. Und weil in dem Krimi immer gut gekocht und gut gegessen wird, gibt’s als besonderen Service noch ein paar Rezepte zum Nachkochen.

Die Autorin
Catrin Ponciano wagte in Portugal 1999 ein neues Leben. Die frühere Küchenchefin legte das Messer 2006 aus der Hand und nennt seither einen Stift ihr Werkzeug. Sie veröffentlicht Reiseliteratur, Essays und Kriminalromane sowie kulturjournalistische Artikel über ihre Wahlheimat. Als Schreibende begegnet sie Menschen, die ihr bereitwillig ihre Geschichten anvertrauen. Sie organisiert Tagestouren, Krimiwochenenden sowie Literaturreisen nach Maß und hält Vorträge über portugiesische Literatur. Sie lebt mit ihrem Mann in Portimão. Ihr Debüt »Leiser Tod in Lissabon« wurde mit dem Stuttgarter Kriminächte Debütpreis 2021 ausgezeichnet. www.catringeorge.com
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