Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

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stjerne
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Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von stjerne »

Ich lese gerade "Martin Chuzzlewit" von Charles Dickens. Bei Dickens tauchen oft Figuren der Unterschicht auf, die dann mit Dialekt sprechen. In meiner derzeitigen Lektüre wurde es mit bayerischem Dialekt übersetzt, was ich extrem unglücklich finde. Ich will mich beim Lesen gedanklich in London befinden, nicht im Hofbräuhaus.

Ich hatte auch mal einen englischen Krimi, bei dem eine Frau rheinländisch sprach.

Das es auch besser geht, beweisen andere Übersetzungen, hier kann ich wieder auf Dickens verweisen, in meiner Übersetzung von "Bleak House" spricht der Straßenjunge Jo ganz normal und seine Herkunft ist nur an den doppelten Verneinungen ( nie nicht, niemand nicht usw.) erkennbar.

Habt Ihr auch Beispiele für Dialekt-Übersezungen, die Ihr ge- oder misslungen findet?
Zuletzt geändert von stjerne am Do 8. Sep 2022, 22:34, insgesamt 1-mal geändert.
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spiralnebel111
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Re: Dialekt übersetzen

Beitrag von spiralnebel111 »

Ich erinnere mich an ein Buch aus dem Englischen, in dem eine vermutlich Cockney sprechende Person mit einzelnen (!!!) kleinen Verschleifungen ins Deutsche übersetzt wurde. Gehn statt gehen oder werd' statt werde. Sehr dezent und nicht mit Apostroph überlaufen. Das war sehr angenehm.
Stark verschliffen wird Huckleberry Finn (vielleicht nur in meiner Ausgabe), das ist ganz blöd, weil er der Ich-Erzähler ist. (In Tom Sawyer betrifft es ja nur die wörtlichen Reden mit Huck).Das hat mich so genervt, daß ich abgebrochen habe.
Einen echten deutschen Dialekt zu benutzen finde ich unmöglich.
Ich habe auch schon deutsche Bücher abgebrochen, weil zuviel Dialekt drin ist; das lenkt mich unnötig und unnangenehm ab.
stjerne
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von stjerne »

Bitte entschuldigt, dass ich noch einmal auf "Martin Chuzzlewit" zurückkomme.
Es gab da eine Szene, die ich wahnsinnig komisch fand: Eine Frau will sich bei einer Familie einschmeicheln, indem sie der Tochter übertriebene Komplimente macht. Sie sagt ihr, ihr würden nur noch die Flügel fehlen, um "ein rechter Sirup" zu sein. Der Erzähler merkt trocken an, sie habe wohl "Seraph" gemeint. Später wird die Frau mit ihrer Begleitung rausgeworfen und wundert sich, woran das liegt. Der Erzähler berichtet: "Dies war die Schuld des Sirups..." und "die Mutter des Sirups fand...".
Das finde ich wirklich irrsinnig witzig.
Nun habe ich aber feststellen müssen, dass im Original gar nicht "the syrup" sondern "the seraph" steht.
Seit mehreren Tagen lache ich über den Sirup und dann ist das ein Witz des Übersetzers nicht des Autors.

Daher meine Frage: Darf die Übersetzung lustiger sein als das Original? 🤔
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spiralnebel111
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von spiralnebel111 »

Upsili. Schwierige Frage. Ich glaube das kommt auf die Geschichte an. Hätte der Autor das witzig gefunden?
Ich schätze es, wenn wir nahe am Original bleiben, aber Lachen finde ich auch gut. Also typischer Fall von "hm".
stjerne
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von stjerne »

Hätte Dickens es witzig gefunden? Ich schätze schon. Ich lese ihn ja gerade wegen seines trockenen Humors so gerne. Das Mädchen als "Seraph" zu bezeichnen und nicht als "Tochter des Hauses" oder mit Ihrem Namen (den man gar nicht erfährt) ist ja auch schon ein komisches Element, aber "Sirup" ist in meinen Augen eben noch lustiger. Ich habe beschlossen, mich darüber zu freuen, denn wenn man mehrere Tage über etwas total erheitert ist, kann das nicht verkehrt sein.
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spiralnebel111
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von spiralnebel111 »

Das stimmt allerdings! :D
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Oswald Blau
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von Oswald Blau »

Sehr interessantes Thema! Aber auch so ein weites Feld, dass ich gar nicht weiß, wo anfangen...

Zu "Martin Chuzzlewit" und bayrischem Dialekt: Das ist wirklich eine billige Lösung. Aber wenn man die deutsche Sprache nicht gut kennt, dann kann das meiner Meinung nach sogar funktionieren. Aber, nein, das ist nicht gut, fine ich auch. Und das Hofbräuhaus ist ja auch nicht mehr so richtig authentisch bayrisch, gell.
Bei Asterix sprechen die Averner einen schwäbischen Dialekt, das fand ich ziemlich gut, kenne aber weder Französisch noch die Sprache der Averner. Weiß jemand, wie das im französischen Original gelöst ist?

Zum Sirup in Bleakhouse. Ist die Dame des Englischen nicht wirklich mächtig oder will sie sich nur besonders eloquent ausdrücken und geht dabei völlig fehl, so wie Frau Stör in T. Manns Zauberberg? Sonst habe ich Probleme den Dreh dahingehend zu bekommen, wie man Flügel und Sirup zusammenbekommt. Ich habe den Roman nur mal angefangen, aber die Qualität der Aufnahme aus der Blindenhörbücherei war dann doch zu schlecht für meine Ohren.
Und natürlich darf eine Übersetzung witziger sein als das Original. Spontan fallen mir nur "die Profis", diese alte Serie , ein, die in der Synchronisation und Übersetzung ein Erfolg wurden, weil witzig, das Original in UK flippte dagegen ziemlich.
Zurück zum Original: Es existieren oft mehrere Fassungen. Die Ballade "The Raven" von E. A. Poe beispielsweise gibt es in Strophe 14 sowohl mit "Angels" als auch mit "Seraphine", wobei mir die 2. Möglichkeit zunächst völlig unklar, da unbekannt, war. Ist aber wohl auch die spätere und - wie ich finde - schönere Fassung.
Es gibt auch zahlreiche Übertragungen. Unter anderem die vom Ehepaar Etzel ins Deutsche, wo es in Strophe 11 heißt: "dessen Pfad ein Unstern rauschte..." Das konnte ich nicht auswendig lernen, da hat es immer gehakt, dann hab ich es um-übersetzt: "sich entlieh von einem Meister/ dem so unbarmherzig Geister/ folgten dreist/ verfolgten dreister... Im Original heißt es: Caught from some umhappy Master/ whom unmercyful disaster/ followed fast and followed fester... Aber vielleicht war der rauschende Unstern zu Etzels Zeiten ja gebräuchlich, das weiß ich nicht.

Zum Dialekt: Ich hatte folgendes Problem: Eine plattdeutsche Sage war mein Ausgangstext für eine weiter reichende Geschichte. Leider kann ic kein Platt, also schrieb ich die Geschichte auf Hochdeutsch. 3 platte Paarreime kamen drin vor und waren wichtig, die mussten in Hochdeutsche übertragen werden... Ich fand eine Lösung. Ob sie gut ist, weiß ich nicht. Jetzt mache ich erst einmal Schluss und muss was essen. Vielleicht später mehr.
Wirklich sehr interessantes Theam!
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stjerne
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von stjerne »

Ja, die Dame will sich ganz gewählt ausdrüchen und das geht fabelhaft nach hinten los. Es ist übrigens auch Martin Chuzzlewit, nicht Bleakhouse. :wink:

Wir Norddeutschen betonen natürlich, dass Plattdeutsch kein Dialekt, sondern eine eigene Sprache ist. :mrgreen:
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spiralnebel111
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von spiralnebel111 »

stjerne hat geschrieben: So 19. Feb 2023, 14:38 Wir Norddeutschen betonen natürlich, dass Plattdeutsch kein Dialekt, sondern eine eigene Sprache ist. :mrgreen:
Müßt Ihr gar nicht! Wir verstehen kein Wort - also ist es eine Fremdsprache! :)
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Oswald Blau
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von Oswald Blau »

Moin,
aha, also eine T. Mann'sche Frau Stör, die etwas klebrige Dame, jetzt verstehe ich. Ein altbekannter, aber immer wieder guter Griff in die Effektkiste. Ist es bei Cervantes zum ersten Mal aufgetaucht, ich weiß es auch nicht. Aber der Ritter von der traurigen Gestalt und sein Knappe spielen das Spiel auch schon - und das vor 1700.
Dickens würde ich gerne besser kennen, bin aber bisher über das Weihnachtsmärchen nicht wesentlich hinaus gekommen. Abwarten.

Also, hallo Mark Twain, mein Problem war folgendes: Es gibt eine Sage über die Entstehung des Zwischenahner Meeres. Da kommen drei Hähne vor, ein weißer, ein roter und ein schwarzer, und der Teufel höchstpersönlich. Zum ersten Hahn sagt der Teufel: Witte Hahn, Witt, ik acht di nen Schit. Zum 2. Rode Hahn ro, ik acht di so no. Und zum schwarzen: Swarte Hahn swart, du trekkst mi allwedder upt Hart. Das galt es zu übertragen, denn nur den Teufel in der Geschichte Platt sprechen zu lassen... Das hätte der Sprache! :D einen negativen Touch gegeben, das wollte ich unter gar keinen Umständen. Alles Platt? Ging nicht, weil kann ich nicht. Schade, aber leider wahr. Also, hallo Mark, hab ich daraus gemacht: Weißer Hahn, weiß wie Eis, ich achte dich nur einen Scheiß! Und: Roter Hahn, rot wie Blut, vor dir zieh' ich nicht meinen Hut! Und zu Schwarzen Joker spricht der Beelzebub: Schwarzer Hahn, schwarz wie Erz, du triffst mich am Ende mitten ins Herz!
Und, wie findet ihr das?
Die Geschichte heißt übrigens Von Henne, Hahn und Teufel und wird demnächst vielleicht in meinen Angeboten zu finden sein, aber ich bin träge.
Versuche mich ja gerade wieder hier einzuarbeiten.
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spiralnebel111
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von spiralnebel111 »

Viel besser als Dialekt (oder Fremdsprache).
Das mit dem roten Hahn ist ein bißchen lang. Wie wäre "Roter Hahn, rot wie Blut, ich zieh vor dir nicht meinen Hut"?
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Oswald Blau
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Re: Dialekt übersetzen - übersetzen allgemein

Beitrag von Oswald Blau »

Hab ich mich verguckt oder ist das nur eine Wortumstelung? Aber klingt schon runder, das stimmt. Ich denk drüber nach...
H. Heines "ich weiß nicht, was soll es bedeuten..." klingt als: ich weiß nicht, was es bedeuten soll auch viel unschöner, irgendwie eckig.
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