Ben Aaronovitch: Die Silberkammer in der Chancery Lane. Roman (Peter Grant, Band 9)

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Vandam
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Ben Aaronovitch: Die Silberkammer in der Chancery Lane. Roman (Peter Grant, Band 9)

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Ben Aaronovitch: Die Silberkammer in der Chancery Lane. Roman (Peter Grant, Band 9), OT: Amongst Our Weapons, Übersetzung: Christine Blum, München 2022, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26331-3, Klappenbroschur, 409 Seiten, Format: 13,4 x 3,7 x 21 cm, Buch: EUR 15,95 (D), EUR 16,40 (A), Kindle: EUR 12,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Ganz sicher wollen sie alle nicht noch ein weiteres Expertenteam hinzurufen, es sei denn, es lässt sich einfach nicht vermeiden. Am allerwenigsten uns – die Einheit Spezielle Analysen, in der Met berüchtigt als Garant für abstrusen Sch**ß, unerwartete gewaltsame Ereignisse, und ganz schlecht, niedrige Aufklärungsquoten.“
(Seite 9)

London, hier und heute: Police Constable Peter Grant von der Metropolitan Police – genauer gesagt: von der Einheit für magische Angelegenheiten – ist wieder mal mächtig im Stress. Neuerdings hat er eine Praktikantin, Danni Wickford, was immer zusätzliche Arbeit bedeutet. Sein Chef, der Magier Thomas Nightingale, Jahrgang 1900, spricht vom Ruhestand, und Peters Partnerin Beverley bereitet sich nicht nur auf eine wichtige Prüfung vor, sondern auch auf die unmittelbar bevorstehende Geburt ihrer Zwillinge, was bei einer Flussgöttin wie ihr eine deutlich aufwändigere Prozedur darstellt als bei gewöhnlichen Frauen. Ständig wuseln Angehörige der magischen Demi Monde im Haus der Grants herum und veranstalten dort wer-weiß-was. Und was, bitte, hat Maksim mit einem Bagger im Garten vor?

Ein mörderischer Engel?
Und dann gibt’s auch noch einen neuen Fall: In den London Silver Vaults in der Chancery Lane – einer Art unterirdischer Shopping Mall für Silberwaren und Antiquitäten – wurde einem Mann das Herz herausgerissen. Dabei wollte er doch nur einen antiken Puzzlering kaufen! Der Täter – und jetzt wird’s abgefahren – war ein Engel mit Flügeln, Heiligenschein und Speer! Dieses Wesen ist natürlich längst über alle Berge, als die Polizei eintrifft.

Peter und seine Kollegen haben es nicht so mit der Religion. „Engel und Teufel betrachteten sie als abstrakte Konzepte und hielten alles, was mit einem Heiligenschein, Flügeln oder einer Mistgabel herumlief, für entweder besonders dreiste Fae, Prahler oder Hochstapler.“ (Seite 75) Das muss also ein Trick sein von der Sorte, mit der sie normalerweise ganz gut fertigwerden, wenn auch unter Hinterlassung beträchtlichen Sachschadens, wie Freunde der Reihe wissen.

Das Mordopfer, der Unternehmer David Moore, hat nicht irgendein antikes Schmuckstück gesucht, sondern einen bestimmten mittelalterlichen Armillarsphären-Ring mit hebräischen Schriftzeichen, der früher einmal ihm gehört hat. Sieben solcher Ringe gibt es. Alle sind verzaubert und vor Jahrzehnten auf mysteriöse Weise aus einem Archiv für magische Gegenstände verschwunden. Irgendwie sind sie dann in den späten 1980er-Jahren in den Besitz von Preston Carmichael gelangt, der es für eine gute Idee hielt, sie an die Mitglieder seines Gebetskreises zu verschenken.

Sieben magische Ringe
Jetzt ist also irgendwas oder irgendwer hinter den Ringen her. Oder hinter seinen aktuellen Besitzern. Jedenfalls sind zwei Mitglieder dieses Gebetskreises schon tot. Der Rest ist in alle Winde zerstreut, und Peter und seine Kolleg:innen setzen alles daran, sie ausfindig zu machen, zu befragen und zu warnen. Wobei ... was hätte ein Durchschnittsmensch einem bewaffneten Todesengel schon entgegenzusetzen?

Wenn die Ringe schon seit über 30 Jahren im Besitz dieser Leute sind, was hat dann ausgerechnet jetzt diesen „Engel“ auf den Plan gerufen? Ist es Zufall, dass zur selben Zeit Peters ehemalige Kollegin Lesley May wieder auftaucht, die sich irgendwann auf die dunkle Seite der Macht geschlagen hat? Weiß sie mehr darüber? Ihre Loyalität ist ja immer ein bisschen schwankend. Sie verfolgt ihre eigenen Interessen, aber auch nachdem sie die Seiten gewechselt hat, ist sie Peter immer noch ein wenig verbunden, gibt ihm hier und da mal einen Tipp – und hat ihm auch schon das Leben gerettet. Doch was sie jetzt vorhat, weiß kein Mensch.

Skurrile Gestalten
Bei ihrer Spurensuche treffen die Polizeibeamten (wo ist eigentlich Cousine Abigail in diesem Band?) auf allerhand kurioses Personal. Die verfressenen sprechenden Füchse, die sich für eine Art Geheimdienst halten, haben ihre Pfoten im Spiel, es tauchen bisher unbekannte Flussgöttinnen auf sowie diverse Geister, die ihren Weg ins Jenseits nicht finden, ein Rabe, der nur Deutsch versteht, halbwilde Katzenfrauen und eine gehörlose Schmiedin mit besonderer beruflicher Begabung. Zwischendrin findet der Autor auch noch ausreichend Gelegenheit, über den Straßenverkehr und architektonische Scheußlichkeiten zu lästern. Das ist überaus unterhaltsam, genau wie das exzentrische Stammpersonal der Romanreihe.

Als Leser:in verliert man in der verzweigten Handlung gelegentlich den Überblick darüber, wer wer ist und wer was plant, aber das ist bei den Peter-Grant-Bänden normal. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich sämtliche Zusammenhänge richtig verstanden habe. Was genau hat jetzt den „Engel“ getriggert? Die Mitglieder des Gebetskreises konnte ich auch nur unzureichend auseinanderhalten, aber das war mir irgendwann wurscht.

Die Fehde hat tiefe Wurzeln
Der Engel kommuniziert in einem altmodischen Spanisch und der Gebetskreis erzählt, dass sie in einer fremden Sprache gesprochen hätten, nachdem Preston Carmichael ihnen die Ringe geschenkt hatte. Aufgrund der Beschreibung dieser Sprache und dem Design der Ringe habe ich angenommen, dass wir es hier mit Ladino zu tun haben. Na ja, nicht ganz ... aber es verdichtet sich der Verdacht, dass der Kampf um die Puzzleringe seine Wurzeln irgendwo auf der Iberischen Halbinsel hat – und tief in der Vergangenheit. Aber wer warum was gegen wen hat und wie der Feldzug des Engels zu stoppen ist, dass müssen Peter & Co. erst noch herausfinden.

Wird eigentlich irgendwo explizit erwähnt, welchen Namen die Familie Alfonzo im Jahr 1897 angenommen hat oder muss man sich mit den Andeutungen auf Seite 258 begnügen? Vielleicht huschen ja haufenweise deren Nachfahren durch die Geschichte und ich habe es nur nicht bemerkt. In den Peter-Grant-Büchern sind ja immer soooo viele Figuren unterwegs! Auch dieser Band der Reihe ist wieder schräg, originell, witzig und spannend – und ein wenig unübersichtlich.

Zu viel gegendert? Ach was!
Was ich gar nicht nachvollziehen kann: das Wehklagen in einigen Rezensionen darüber, dass in diesem Buch ausufernd gegendert würde. Mir ist nichts dergleichen aufgefallen. Es gibt keine umständlichen Drumherum-Formulierungen und weder Gendersternchen noch Unterstriche oder Doppelpunkte innerhalb eines Wortes. Irgendwo habe ich mal ein Binnen-I gesichtet (BeamtInnen) und an einer Stelle ist von Mitbürgerinnen und Mitbürgern die Rede. Meist aber wird das generische Maskulinum verwendet (Polizisten, Ladenbesitzer, Spurensicherer, Jurist, Arzt, Taschendieb, Besoffener ...). Es gibt hier nichts, was den Lesefluss hemmt. Wenn die leitende Beamtin oder die zuständige Rechtsmedizinerin eine Frau ist, wird korrekt die weibliche Form ihrer Berufsbezeichnung gewählt. Ist das schon ein Grund zum Plärren? Oder stören sich die Rezensent:innen daran, dass die Zauberer hier „Praktizierende“ genannt werden? So heißen die doch schon seit der ersten Übersetzung von vor 10 Jahren. Und da war das mit dem Gendern noch nicht so präsent wie heute.

Die Reihe, wie wir sie lieben
Für Quereinsteiger:innen ist so ein später Band nicht geeignet, dafür ist im Vorfeld viel zu viel passiert. Das könnte ein ein neuer Leser gar nicht einordnen. Fans bekommen hier aber einen typischen Peter-Grant-Band mit Magie, Rätsel, Spannung, Witz, skurrilen Figuren, lästerlichen Kommentaren zu allen möglichen Themen – und ordentlich Krawumm. Ohne pulverisierte Elektronik und einstürzende Gebäude geht hier ja nix. DIE SILBERKAMMER IN DER CHANCERY LANE ist genau so, wie wir die Reihe kennen und lieben!

Der Autor
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.

Die Übersetzerin
Christine Blum, geboren 1974 in Freiburg im Breisgau, studierte Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften, Russische Literatur, Musikwissenschaft und kurze Zeit auch Medizin. Seit 2002 übersetzt sie aus dem Englischen und Russischen. Für dtv überträgt sie u. a. Ben Aaronovitch ins Deutsche.
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