Michael Schophaus: Im Himmel warten Bäume auf dich

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Ati
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Michael Schophaus: Im Himmel warten Bäume auf dich

Beitrag von Ati »

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Michael Schophaus: Im Himmel warten Bäume auf dich

Goldmann
ISBN-13: 9783442151486
ISBN-10: 3442151481
Biografien, Erinnerungen
Vollständige Taschenbuchausgabe 03/2002
Taschenbuch, 184 Seiten
[D] 8,00 €

Anlässlich des kürzlich besprochenen Buches Mama, ich hab Krebs fiel mir wieder ein Buch ein, das seit einigen Jahren in meinem Besitz ist. Auch darin geht es um den viel zu frühen Tod eines Kindes, auch dieses ist von einem Elternteil geschrieben, das versucht mit dem schmerzhaften Verlust fertig zu werden. Das ist jedoch die einzige Gemeinsamkeit, die diese beiden so ungleichen Bücher haben.

Es gibt Bücher, die vergisst man nicht. Das von Schophaus gehört für mich dazu. Es handelt von Tod und Verlust, von Trauer. So eindringlich, dass man sich beim Lesen und auch noch danach fast an dem kleinen Bettchen sitzen sieht und den Jungen darauf festhalten möchte. Jedes Mal, wenn ich es zur Hand nehme, berührt es mich unendlich. Abgesehen davon verbinde ich für mich damit eine persönliche Geschichte.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der pendelte ich arbeitsbedingt zwischen Stuttgart und Berlin. Da meine Maschine eines Abends (nicht zum ersten oder letzten Mal) überbucht war, wartete ich auf meinen Ersatzflug und investierte den Betrag, den mir die Fluggesellschaft als Ausgleich für den späteren Flug anbot, schon vor Erhalt teilweise in neue Lektüre. Beim Stöbern fiel mir Im Himmel warten Bäume auf dich aus irgendeinem Grund direkt aus dem Regal entgegen. Die kleine Narbe des Schnitts, den ich mir beim Fangen zuzog, sieht man heute noch. Obwohl bereits angesichts des Titelbildes auch ohne Beachtung des Untertitels Die Geschichte eines viel zu kurzen Lebens klar war, dass ich damit nicht wie vorgesehen etwas Lustig-entspannendes erwarb, nahm ich das Buch kurzerhand mit. Obwohl man ihm die Krankheit ansieht, wirkten das Gesicht und die Augen des kleinen Jungen, der kahlköpfig, an Schläuchen hängend, auf seinem Bettchen sitzt, ein Eis in der kleinen Hand haltend, zu spitzbübisch, um das Buch einfach wieder ins Regal zu stellen.

Trotz einiger tatsächlich ebenfalls gekaufter leichter und/oder amüsanter Romane, begann ich es zu lesen, während ich darauf wartete, an Bord meiner Maschine gehen zu dürfen. Neben mir saß ein Mann. Ihm war offenbar langweilig, denn er fragte mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er mitlas. Machte es natürlich nicht. Und da wir im Flugzeug zufälligerweise direkt nebeneinander platziert waren, konnte er auch dort mitlesen. Wir beide schafften es damals nicht, unsere Tränen zurückzuhalten, drohten in einem Wechselbad an Gefühlen zu ertrinken. Das gemeinsam begonnene Buch war der erste Schritt in eine wunderbare Freundschaft. Sie verbindet uns heute, 10 Jahre später, und mittlerweile 1.630 km voneinander getrennt, noch immer.

Was Rainer an diesem Donnerstagabend noch nicht einmal ahnen konnte war, dass bei seiner eigenen Tochter nur fünf Wochen später ebenfalls eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde. Rainer hat mir einmal gesagt, dass unsere Freundschaft ihm in der Zeit vor Svenjas Tod und auch danach viel Kraft gegeben hat. Insoweit bin ich unendlich dankbar, dass mir dieses Buch damals einfach so, aus unerfindlichen Gründen entgegen fiel. Auch, weil die nochmalige Lektüre gerade dieses Buches Rainer in der Zeit nach der kleinen Svenja Kraft gab. Kein Wunder, dass auch manche Bestatter es als Trauerliteratur empfehlen. Bedauerlicherweise ist es im Buchhandel seit längerem vergriffen.

Trotz der schrecklichen Krankheit und seinem frühen Tod, den er als Blödmann bezeichnete, wirkt Jakob durch die niedergeschriebenen Erinnerungen von Michael Schophaus lebendig, kindlich kraftvoll. Und obwohl früh klar ist, das Jakob keine Chance auf eine Zukunft hat, ging seine Kraft doch viel zu plötzlich zu Ende. Jakob liebte Bäume, in allen Größen und Formen. Als er ging, blickte er auf einen Weihnachtsbaum und draußen tobte der Sturm.

Obwohl ihn Krankheit und Behandlung aufzehren, animieren diverse Passagen im Buch zum Lächeln. Zwei Jahre durfte Jakob leben, bevor die Diagnose Neuroblastom kam. Danach blieben noch 600 Tage bis zu seinem Tod. 600 Tage an denen Schophaus seinen Sohn begleitete und unterstützte so gut es ging. 600 Tage, die ihn einen Blick in die Hölle werfen ließen. Eine Hölle in der - so Schophaus - kleine, mutige Kinder mit Glatze sitzen und kotzen. Denen er von Herzen den Himmel wünscht, weil sie ihn verdient haben. Wer einmal eine onkologische Kinderstation besucht hat, stimmt ihm da sicherlich ohne zögern zu.

Tagebuchartig lässt Schophaus LeserInnen an dieser Zeit teilnehmen. An den Hoffnungen, die entstehen, wenn Jakob kurzzeitig nach Hause darf. An der Verzweiflung, wenn die Haare ausgehen, neue Tumore auftauchen. Ebenso an dem unerträglichen Krankenhausbetrieb, den Schmerzen, den Behandlungen. Er verbirgt seine Hilflosigkeit, Trauer und Wut nicht, erinnert aber auch an Momente des Glücks. Er lässt LeserInnen seinen Sohn unmittelbar kennenlernen, auch wenn der kleine Jakob physisch nicht mehr unter uns weilt. Dieser bezaubernde kleine tapfere Junge, der sein Leiden in all seiner Kindlichkeit ertragen muss. Der Fragen stellt, Antworten gibt. Der nie die wirkliche Chance hatte, wie andere Kinder Kind zu sein, erwachsen zu werden.

Auch wenn die Familie versucht, so normal wie möglich zu leben, wird doch deutlich, wie viel Kraft Jakobs Leidensweg sie kostet. Dabei wird Schophaus in seinen Erinnerungen nicht melodramatisch. Trotz Wut und Ohnmacht wirkt er nicht verbittert. Dennoch schildert er auch sehr deutlich, wie er sein Umfeld in der Zeit damals erlebte. Krankenhauspersonal, Arbeitskollegen, Freunde. Nicht immer sind die Erfahrungen mit ihnen positiv, was das Empfinden von Jakobs Erkrankung noch schlimmer macht.

Der 1956 in Bottrop geborene Journalist und Autor Michael Schophaus lebt heute mit seiner Frau und zwei Kindern abwechselnd in Hamburg und bei Köln. Er verfasste unter anderem das Buch Zu jung, um alt zu sein. Die Geschichte einer rätselhaften Krankheit, mit dem Goldmann im Jahr 2004 das erste Buch weltweit zum Thema Progerie (Vorzeitige Vergreisung im Kindesalter) auf den Markt brachte.

Fazit:

Im Himmel warten Bäume auf dich ist die reale Geschichte des kleinen Jakob und seinem aussichtslosen Kampf gegen eine unheilbare Krankheit. Eine Geschichte, die an die Nieren geht. Nicht nur, weil Jakob viel zu jung gehen musste. Auch weil Schophaus seine Hilflosigkeit, Wut und Trauer, aber auch gute Erinnerungen ergreifend umgesetzt hat. Trauer kann man nicht werten - dieses Buch jedoch schon. Es verdient mehr als fünf Punkte. Und Jakob seinen Himmel voller Bäume.

Copyright ©, 2012 Antje Jürgens (AJ)
Michael Schophaus
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Registriert: Mi 22. Sep 2021, 09:16

Re: Michael Schophaus: Im Himmel warten Bäume auf dich

Beitrag von Michael Schophaus »

Liebe Antje Jürgens,

nach so vielen Jahren habe ich erst vor kurzer Zeit durch Zufall Ihrer wunderschöne Geschichte hier auf
der Plattform gelesen - und glauben Sie mir: Nach all den vielen Zuschriften, die ich seit der Veröffentlichung
des Buches bekommen habe, diese hat mich noch mehr gerührt als viele andere.

Hoffe, Ihre Freundschaft zu Rainer besteht noch. Und dass es Ihnen gut geht.

Mit allerherzichsten Grüßen aus Hamburg
Michael Schophaus

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