Patricia Wiltshire: Die Spurenleserin. Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin

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Vandam
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Patricia Wiltshire: Die Spurenleserin. Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin

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Patricia Wiltshire: Die Spurenleserin. Die spektakulärsten Kriminalfälle einer biologischen Forensikerin, OT: The Memoir of a Forensic Scientist and Criminal Investigator, aus dem Englischen von Ralf Pannowitsch und Christiane Wagler, München 2023, Knesebeck Verlag, ISBN 978-3-95728-784-7, Klappenbroschur, 318 Seiten, Format: 13,9 x 2,8 x 20,9 cm, Buch: EUR 22,00, Kindle: EUR 19,99.

„Nur wenn wir Bescheid wissen über die Welt der Natur, in der wir leben – und zwar sowohl in großem als auch in mikroskopischen Maßstab -, können wir zuversichtlich sein, der Wahrheit nahezukommen.“ (Seite 119)

Also, jetzt kann’s kein Zufall mehr sein! Es muss in Großbritannien ein spezielles Genre geben: „quasselig-abschweifend erzählte Sachbücher“. 😊 Jetzt habe ich schon mehrere dieser Sorte erwischt, und das hier ist wieder eines.

Ich hatte packende Kriminalfälle erwartet …

Lehrreich, interessant und unterhaltsam ist es schon, aber ich hatte aufgrund des Titels und der Verlagsangaben etwas anderes erwartet. Ich dachte, jetzt gibt uns die Professorin eine kleine Einführung in das, was sie beruflich macht und erzählt uns, wie es kam, dass sie bei der Kriminalistik gelandet ist. Die Biologin hat ja eigentlich als Umweltarchäologin am Londoner University College gearbeitet. Irgendwer muss also mal auf die Idee gekommen sein, sie an einen Tatort zu schicken.

Das wollte ich kurz erklärt haben – und dann wäre ich bereit gewesen für Schilderungen ihrer spektakulärsten Kriminalfälle: Was hat die Polizei vorgefunden? Was war ihre Fragestellung an die Palynologin? Warum haben die üblichen Forensik-Experten in diesem Fall nicht ausgereicht? Was hat Patricia Wiltshire wie und warum unternommen, um das Rätsel zu lösen? Und wie hat man den/die Täter schließlich überführt?

… aber es ist eher eine Autobiographie

Äh ja. Irgendwie liefert das Buch das schon. Aber eben nicht so wie erwartet. Vielleicht führt uns der deutsche Buchtitel in die Irre. Das englische Original, das „Memoiren einer Forensikerin“ verheißt, kommt der Sache näher: Die Autorin beschreibt uns ihren beruflichen und privaten Werdegang.

Patricia Wiltshire, 1942 in Wales geboren, stammt aus einfachen Verhältnissen. In ihrer Herkunftsfamilie geht es, sagen wir mal, turbulent zu, und Patricia wächst zeitweise in der Obhut von Verwandten auf. Aufgrund einer schweren Erkrankung fehlt sie immer wieder für lange Zeit in der Schule. Ihre Bildung stammt hauptsächlich aus dem, was sie aus persönlichem Interesse liest. Vor allem Konversationslexika haben es ihr angetan. Trotz der widrigen Umstände schafft sie’s aufs Mädchengymnasium, das sie zwar hasst, aber mit Bestnoten abschließt.

Jetzt hatte ich angenommen, dass sie schnurstracks Biologie studiert. Nein, das kommt erst später. Ihr Berufsweg mäandert erst mal eine Weile vor sich hin – so ähnlich wie ihr Erzählstil. :-D Irgendwann hat sie ihr Fachgebiet gefunden, die Palynologie. Das heißt, sie erforscht mittels eines Hochleistungsmikroskops Pollen und Sporen und beschäftigt sich mit deren Analyse und Systematik. Wenn man dieses Wissen z.B. im Bereich der Archäologie einsetzt, erfährt man vieles über das Leben unserer Vorfahren.

Von der Archäologie zur Kriminalistik

Mitte der 90er-Jahre kommt man bei der Polizei auf die Idee, dass man diese Kenntnisse auch in der Kriminalistik gebrauchen könnte. Patricia graust vor nichts – außer vor Spinnen und Schlangen –, sie ist offen für Neues, also sagt sie zu. Erst einmal muss sie sich eine brauchbare Vorgehensweise erarbeiten. Palynologen sind normalerweise nicht in Ermittlungsarbeiten involviert. Es gibt also keine Vorbilder.

In dem Wissen, dass sich die Mischung von Palynomorphen (z.B. Pollenkörner und Pilzsporen) selbst innerhalb eines kleinen Gartens stark voneinander unterscheidet, je nachdem, in welcher Ecke man die Probe nimmt, erforscht Patricia nun Dinge wie:
  • Ist der Fundort der Tatort? Wo ist der Mensch getötet worden?
  • Gibt’s in Haus, Garten, Auto oder an der Kleidung einer verdächtigen Person Spuren des Fundorts?
  • Wann wurde der Mensch getötet? Wie lange liegt er schon da?
  • War Person A am Tatort B? Oder stimmt es, dass er stattdessen friedlich seines Weges gezogen ist und an Ort C war?
Anhand der Palynomorphen kann sich die Professorin das entsprechende Areal bildlich vorstellen: was da alles wächst, ob es eine Naturlandschaft ist, und wenn ja, welcher Art. Oder hat hier der Mensch eingegriffen und Pflanzen in einer Gesellschaft wachsen lassen, wie sie in der Natur nicht vorkommt? Haben wir es also mit einem Park oder Garten zu tun? Wenn sie einen mutmaßlichen Tatort in natura sieht, kann sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sagen: Hier war es oder hier kann es nicht gewesen sein.

Die Faszination des Unappetitlichen

Das ist für einen interessierten Laien nicht immer leicht zu verstehen. Doch auf Leser:innen ohne Biologiestudium nimmt die resolute Autorin ebenso wenig Rücksicht wie auf solche mit empfindlichem Magen. „Nicht jammern! Weitermachen“, hätte ihre australische Großmutter wohl gesagt.

Patricia Wiltshires Arbeit ist nicht immer appetitlich. Sie berichtet aber ohne Effekthascherei darüber. Sie beschreibt einfach, wie es ist. Ihr kommt gar nicht in den Sinn, dass es den Leser grausen könnte. Eben referiert sie noch über Verwesungsprozesse und dann geht sie nahtlos zum Thema Kantinenessen über. Das ist so schräg, dass man manchmal lachen muss. Sie ist schon sehr abgebrüht und pragmatisch.

Gelernt habe ich einiges. Seit ich das Buch gelesen habe, denke ich bei so manchem Krimi: „Also, da wäre jetzt der Rat von Patricia Wiltshire – oder eines ihrer Kollegen – hilfreich.“

Assoziative Erzählweise: anstrengend!

Genervt hat mich die Erzählweise. Mitten in der Schilderung eines Ermittlungsvorgangs fällt ihr eine Familienanekdote ein, die sie dann auch ausführlich erzählt. Wie sie den Täter überführt haben? Ach ja, der hat die Tat halt irgendwann gestanden. Also, Leute, nee, so habe ich mir das nicht vorgestellt!

Manchmal war mir zwar klar, was sie mit ihren Untersuchungen herausfinden will, aber nicht, wie diese Erkenntnis den Täter überführen soll. Was bringt es, wenn wir wissen, das A und B im Wald und nicht auf der Wiese waren? Die Tat hätte hier wie dort geschehen können. Aber gut …

Und weil sie nicht chronologisch erzählt, war ich sehr darüber verwundert, dass sie ihren Mann mal in den höchsten Tönen lobt und dann wiederum kein gutes Haar an ihm lässt. Mal ist von Scheidung die Rede, dann schwärmt sie wieder von gemeinsamen privaten und beruflichen Unternehmungen. In meiner Verwirrung habe ich gegoogelt. Es gab wohl einen ersten und einen zweiten Gatten. Ach so!

Ja, persönliche Details können ein Sachbuch auflockern und „menschlicher“ wirken lassen. Aber so ist das für die Katz. Oder sagen wir: Ich bin kein Fan davon. Wenn jemand ein interessantes Thema hat, über das er der Welt berichten will, möge er oder sie doch bitte beim Thema bleiben.

Die Autorin

Professor Patricia Wiltshire ist Biologin und Forensikerin und hat an über 250 Kriminalfällen im Vereinigten Königreich gearbeitet, darunter einige der bekanntesten Fälle der letzten 25 Jahre. Sie lebt mit ihrem Mann David und ihrer Katze Maudie in Surrey, Großbritannien.
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