Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn. Roman

Stellen Sie ein Buch detailliert vor - mit Inhaltsangabe und Ihrem Urteil.
Antworten
Benutzeravatar
Vandam
Beiträge: 1617
Registriert: Do 22. Sep 2005, 15:40
Kontaktdaten:

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn. Roman

Beitrag von Vandam »

Bild

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn. Roman, OT: Mrs Quinn’s Rise to Fame, aus dem Englischen von Sonja Rebernik-Heidegger, München 2023, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-28382-3, Hardcover, 399 Seiten, 14,1 x 3,9 x 21,5 cm, Buch: EUR 24,00, Kindle: EUR 19,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Es ist schon seltsam, dachte Jennifer bei sich, wie Rezepte die Menschen überleben, die sie aufgeschrieben haben. Und wie sie dabei diese Menschen wieder zum Leben erwecken, als würde ein winziges Stück ihrer Seele in den Anweisungen weiter bestehen.“ (Seite 13)

Kittlesham, ein Dorf in Großbritannien: Bernard („Bernie“) Quinn, 82 und gesundheitlich angeschlagen, ist vollauf zufrieden mit seiner beschaulichen Existenz als Ruheständler. Der ehemalige Tischler kramt ein bisschen im Garten und in seiner Werkstatt herum, liest die Zeitung und lässt sich von seiner Frau Jennifer umsorgen.

Jennifer („Jenny“), 77, ist noch fit und fragt sich insgeheim, ob das jetzt schon alles war. Ihre Umgebung gibt ihr immer das Gefühl, in ihrem Leben nichts geleistet zu haben. Sie hat mit Bernard keine Kinder und Enkel, um die sie sich hätte kümmern müssen, und beruflich hat sie nur eine abgebrochene Sekretärinnen-Ausbildung und eine kurze Tätigkeit als Verkäuferin aufzuweisen. Sie kann nichts außer kochen und backen, aber das auf hohem Niveau! Das ist ihr auch wichtig. Ihre alten Familienrezepte hütet sie wie einen Schatz. Wenn sie nach den handschriftlichen Aufzeichnungen ihrer Großmutter oder ihrer jung verstorbenen Mutter bäckt, fühlt sie sich ihnen nahe.

Heimliche Bewerbung bei der Back-Show

Heimlich bewirbt sie sich bei der Fernsehsendung DAS BACKDUELL – BACKEN AUF DER INSEL. Einmal will sie etwas für sich allein erreichen und erleben. Und wenn sie es jetzt nicht macht, wann dann? Sie ist nun mal in einem Alter, in dem man stets mit allem rechnen muss. Jenny erzählt niemandem von der Bewerbung, nicht einmal ihrem geliebten Ehemann Bernie. Wenn nichts daraus wird, braucht auch nie jemand davon zu erfahren.

Sie wird tatsächlich zum Casting nach London eingeladen und muss ganz schön improvisieren um unbemerkt dort hinzukommen 😊. Die Verwandten glauben schon, Jenny sei krank, weil sie sich so merkwürdig verhält.

Als ihre Teilnahme schließlich offiziell ist und sie mit der Sprache herausrückt, ist Bernie, so lieb und verständnisvoll er sonst auch ist, zunächst einmal fruchtbar beleidigt. Wie kann sie ihm nur so etwas verheimlichen!

Das ist nicht Jennys einziges Geheimnis

Ach, wenn der gute Mann wüsste …! Seit 60 Jahren hat seine Frau ein Geheimnis vor ihm und vor der Welt. Und je älter sie wird und je weniger Zeit ihr bleibt, desto mehr belastet es sie. In letzter Zeit grübelt sie immer öfter darüber nach, ob es richtig war, ihren Mann von der Wahrheit zu verschonen. Hatte sie überhaupt das Recht dazu? Wäre ihrer beider Leben besser verlaufen, wenn sie von Anfang an mit offenen Karten gespielt hätte? Aber wie hätte das gehen sollen? Anfangs hat sie sich nicht getraut, dann kam nie der richtige Zeitpunkt und jetzt ist Bernie so gebrechlich, dass sie Angst hat, ihm diesen Schock zu versetzen.

Durch diverse Rückblenden ahnen und erfahren wir bald, was Jenny vor ihrem Mann und der angeheirateten Verwandtschaft zu verbergen hat. Natürlich hat es Mitwisser:innen gegeben, aber die sind entweder schon lange verstorben oder nicht mehr Teil von Jennys Leben.

Der einzige Mensch, der erfährt, dass es überhaupt ein Geheimnis gibt, ist ihr junger Backshow-Mitbewerber Azeez. Mit ihm hat sie sich während der Fernseh-Aufzeichnungen angefreundet. So verbissen wie manche andere Show-Kandidat:innen sehen die beiden den Backwettbewerb nämlich nicht. Natürlich wäre es schön zu gewinnen, aber für Jenny und Azeez ist schon allein das Dabeisein ein Wunder und ein Abenteuer. Sie sprechen über Privates und helfen sich gegenseitig – sogar mit Backtipps.

Backen – so spannend wie ein Krimi

Wir Leser:innen erleben die „Challenges“, die Triumphe und Niederlagen der Backshow-Teilnehmer mit, und auf einmal ist es so spannend wie ein Krimi, ob der Ananas-Kuchen das Stürzen unfallfrei übersteht, ob Jenny ihre Lebkuchen noch rechtzeitig gebacken kriegt und wie weit Sorcha, die gehässige Influencer-Dumpfnuss, in dieser Show noch kommt.

Auch wenn man keine begnadete Hobbybäckerin ist, würde man Jennys Rezepte – die nirgendwo im Buch vollständig aufgeführt sind – am liebsten gleich nachbacken. Allein die Beschreibung dessen, was sie macht, lässt einem schon das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Ja, und dann wird die erste Folge der Sendung ausgestrahlt. Freunde und Familie sind völlig aus dem Häuschen. Über Nacht wird Jenny mit ihren traditionellen Rezepten zum Fernsehliebling der Nation und ist so etwas wie eine Berühmtheit. Sogar Großneffe Max, 14, dem sonst alles wurscht ist, ist beeindruckt. Er richtet Jenny ein Facebook-Profil ein und zeigt ihr, wie sie die Fragen der Fernsehzuschauer beantworten kann.

Im Internet bleibt nichts privat

Je mehr Jenny sich da einfuchst, desto mehr Gefallen findet sie an dieser Art der Kommunikation. Ihr ist nur nicht bewusst, wie öffentlich alles ist, was man auf Facebook schreibt. Natürlich sind junge Journalisten diesbezüglich viel ausgeschlafener als die arglose alte Dame – und so kommt ihr gut gehütetes Geheimnis schließlich ans Licht.

Um Himmels Willen! Dass ihre Familie und das ganze Land davon erfährt, dazu noch aus der Presse, das ist für Jenny schlichtweg eine Katastrophe! Und wie manche Menschen, die das gar nichts angeht, auf die Enthüllung reagieren, ist unfassbar. Es gibt schon eine Menge Ar***l*cher auf der Welt!

Für Jennifer Quinn droht durch die indiskrete Berichterstattung die Welt unterzugehen. Einem jungen Familienvater, der sie zufällig in der Sendung gesehen hat, geht dafür ein Licht auf …

Familiengeschichte mit wahrem Kern

Ich mag ja Familiengeschichten, die einen wahren Kern haben. Das hier ist so ein Fall. Die Autorin wurde vom Leben ihrer Großeltern zu dem Roman inspiriert.

Es ist so schön, wie das alte Ehepaar miteinander umgeht! „Ich bin mir nicht sicher, was das Geheimnis unserer sechzig gemeinsamen Jahre ist …“, sagt Jenny bei der Feier ihrer Diamantenen Hochzeit, „aber eines weiß ich bestimmt: Jemanden wahrhaft zu kennen und ihn trotzdem zu lieben, das ist wahre Liebe.“ (Seite 390)

Man kann gar nicht anders als sich mit Jennifer Quinn zu identifizieren. Weil ihr die Fernsehsendung so wichtig ist, fiebern wir mit ihr beim Kuchenbacken mit. Und weil ihre Vergangenheit in ihren Augen etwas so Furchtbares ist, akzeptieren wir das, auch wenn wir selbst das vielleicht gar nicht so sehen. Es sind ihre Ansichten und ihre Gefühle – und darum geht‘s. Das können wir ihr nicht absprechen.

Ich habe das Buch in einem Rutsch durchgelesen, mir hat’s sehr gut gefallen. Ich brauche nicht immer Action, Mord und Totschlag – manchmal reicht es mir, wenn in einem Buch „nur“ das Leben passiert.

Die Autorin

Olivia Ford hat lange im Unterhaltungsfernsehen gearbeitet, ehe sie sich dem Schreiben widmete. Der späte Ruhm der Mrs. Quinn ist ihr Debütroman, der von der berührenden Liebesgeschichte ihrer Großeltern inspiriert wurde. Olivia Ford lebt mit ihrer Familie in London.
Antworten