Anna Claire: Die Glücksfrauen, Der Geschmack von Freiheit

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ann-marie
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Anna Claire: Die Glücksfrauen, Der Geschmack von Freiheit

Beitrag von ann-marie »

Drei Freundinnen, ein Versprechen

Im ersten von insgesamt 3 Romanen über die drei Freundinnen aus Kindertagen Luise, Maria und Anni lernt man dieses harmonische Kleeblatt an einem Wendepunkt ihres Lebens kennen: Berlin im Sommer des Olympiajahres 1936. Auch wenn der Welt ein fröhliches weltoffenes sportliches Großereignis geboten wird, sind bereits Auswirkungen der bald allumfassenden Naziherrschaft zu spüren. Mit unterschiedlichen Auswirkungen auf jede der drei Freundinnen. Luise, gemeinsam mit ihrem Verlobten Richard, ist Mitglied eines Netzwerks, das im Rahmen des politischen Widerstands Flugblätter erstellt und verteilt. Was auf Maria, Jüdin, verheiratet mit einem jüdischen Buchhändler und Mutter von zwei kleinen Kindern in den Folgejahren zukommen wird, kann man sich unschwer vorstellen. Und Anni, liiert mit einem Schulfreund und Gestapo-Mitarbeiter, ist nicht in der Lage oder auch nicht bereit, die herannahende Gefahr vor allem für Maria und ihre Familie zu erkennen.
Durch die Enttarnung der im Untergrund betriebenen Druckerwerkstatt ist Richard auf dem Weg nach Amerika, Luise will und soll ihm folgen. Damit beginnt ein Roman, der auf zwei Zeitebenen erzählt wird. Fast neunzig Jahre nach der Trennung der drei Freundinnen, wird Luises Enkelin June über die Bedingungen des Erbes ihrer verstorbenen Großmutter Luise informiert: es gibt zwei weitere Miterbinnen und sie soll die Freundinnen (oder deren Nachfahren) ihrer Großmutter, Maria und Anni, suchen und die Erbmasse mit ihnen teilen. Eine schon durch Zeitablauf fast unmögliche Aufgabe, doch June stellt sich dieser Herausforderung und entdeckt im Haus ihrer Großmutter einen Karton voller Aufzeichnungen über die ersten Jahre nach Ankunft von Luise in Amerika. Denn Luise ist es gelungen, mit Hilfe der vor ihrer Abreise in die Staaten von Maria und Anni gewährten Kredite den gemeinsamen Traum eines eigenen Restaurants in Amerika zu verwirklichen
Mit Hilfe dieser Aufzeichnungen wird Luises Lebensgeschichte ab 1936 erzählt, im erzählerischen Gegenwartsstrang nimmt man Teil an Junes Recherchen, die ihr so manche überraschenden neuen Kenntnisse über ihre Großmutter vermitteln.
Eine interessante, fesselnde, facettenreiche und auch sehr informative Geschichte, die viele verschiedene Aspekte beinhaltet und miteinander kombiniert. In Kenntnis der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der kommenden Naziherrschaft stellt gerade der unterschiedliche familiäre Hintergrund der drei Freundinnen eine gelungene Ausgangsposition dar und die im ersten Band noch offene Frage nach dem Verbleib von Maria und Anni bietet großen erzählerischen Spielraum.
Darüber hinaus gelingt es der Autorin mit Hilfe der Charaktere von Luise, Einblicke und Eindrücke von deutschen Einwanderern der Kriegsjahre sehr anschaulich und verständlich zu schildern. Die sprachlichen Barrieren, das schwierige, langwierige und belastende Aufnahmeverfahren nach Ankunft in Amerika, das fast aussichtslose Bemühen um Arbeit zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Besonders berührt hat mich in diesem Zusammenhang die Apathie von Richard, der, einmal in Amerika angekommen, nicht in der Lage ist, sich den veränderten, neuen Lebensbedingungen anzupassen und sich der Herausforderung zu stellen. Ein verstörender aber durchaus realistischer Eindruck. Ganz im Gegensatz zu Luise, die ihre neue Heimat als Chance sieht und der es dank ihres Pragmatismus, ihrer Kreativität, vor allem aber auch ihrer Bekanntschaft mit anderen ebenfalls ausgewanderten deutschen Frauen gelingt, Fuß zu fassen. Gerade die Charakterisierung dieser deutschen Auswanderinnen, die gegenseitige Unterstützung, Hilfsbereitschaft und der mit einer Auswanderung verbundenen gleichen Ausgangssituation vermitteln eine ganz neue Perspektive und sind überzeugend in das Romangeschehen eingebettet.
Zu den Nachforschungen von June sei anzumerken, dass von der Autorin sehr viele reale Recherchemöglichkeiten Einfluss gefunden haben. Gerade diese Hinweise verleihen dem Roman eine Authentizität und in der heutigen Zeit auch Aktualität, die mir sehr gut gefallen hat.
Zum Schluss noch die Anmerkung, dass mir Cover und auch der Titel, bzw. vielmehr der Untertitel, gerade nach Lektüre des Buches, sehr gut gefallen haben. Zum einen, weil er die Hoffnung weckt, dass die drei Freundinnen tatsächlich Glücksfrauen waren, bzw. glücklicherweise die Naziherrschaft überlebt haben. Und zum anderen, weil die Darstellung gerade von Luise, die den Geschmack von Freiheit gefunden und geliebt hat, sehr gut nachvollziehen kann.
Für mich ein sehr gelungener erster Band, mit unterschiedlichen, individuellen, sorgfältig, authentisch und sehr empathisch gestalteten Charaktere. Zudem mit einer Romanhandlung, die sehr berührend und nachvollziehbar ganz persönliche Probleme und Schwierigkeiten von Auswanderern aufzeigt. Alles in einem leichten, flüssigen und auch spannenden Schreibstil. Bin schon sehr gespannt, ob und wann ich etwas über Maria und Anni erfahren werde und warte bereits sehnsüchtig auf den nächsten Band.
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