Frauke Bagusche: Nomaden der Ozeane. Das Geheimnis der Meeresschildkröten

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Vandam
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Frauke Bagusche: Nomaden der Ozeane. Das Geheimnis der Meeresschildkröten

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Frauke Bagusche: Nomaden der Ozeane. Das Geheimnis der Meeresschildkröten. Ihre einzigartigen Supersinne, ihr erstaunliches Orientierungsvermögen und wie sie die Meere formen, München 2023, Ludwig Verlag, ISBN 978-3-453-28139-4, Hardcover mit Schutzumschlag, 222 Seiten mit s/w-Illustrationen von Inka Hagen und einem Bildteil mit zahlreichen Farbfotos, Format: 13,4 x 2,8 x 20,6 cm, Buch: EUR 24,00, Kindle: EUR 16,99.

„Der senegalesische Umweltschützer Baba Dioum sagt: ‚Wir Menschen beschützen nur das, was wir lieben. Wir lieben nur das, was wir verstehen, und wir verstehen nur das, was uns gelehrt wird.‘ Mit meinen Büchern möchte ich die Liebe zum Meer, die ich empfinde, mit meinen Leserinnen und Lesern teilen, ich möchte ihnen spannende Informationen bieten, indem ich wissenschaftliche Fakten unterhaltsam aufbereite, ohne zu belehren und ich möchte in ihnen den Wunsch wecken, diesen einzigartigen Lebensraum zu schützen und zu bewahren.“ (Aus einem Interview mit dem Verlag)

Nicht, dass ich eine besondere Affinität zu Meeresschildkröten hätte. Ich dachte einfach, wenn uns schon eine engagierte Meeresbiologin von ihren Erkenntnissen und Erlebnissen erzählt, schau ich mir das mal an. Zum Glück muss man kein:e Wissenschaftler:in sein, um den Ausführungen der Autorin folgen zu können. Frauke Bagusche schreibt so, dass man es auch als interessierter Laie versteht.

Die Saurier überlebt und jetzt gefährdet

Wenn man bedenkt, dass die Meeresschildkröten vor rund 66 Millionen Jahren das Massensterben der Dinosaurier überlebt haben, aber jetzt als gefährdet bzw. als stark bedroht eingestuft werden, sollte man sich vielleicht doch etwas intensiver mit ihnen beschäftigen und ihnen helfen. Denn natürlich ist der Mensch an dieser Situation nicht unschuldig.

Das Buch enthält neben den Farbfotos im Bildteil auch Illustrationen und Karten. Die sind zum Teil jedoch recht klein beschriftet und können auch nicht alles abbilden, was einen Leser möglicherweise interessiert. Also sitzt man da und googelt, wie sich der Panzer der Tiere entwickelt hat und wie die Urahnen der Schildkröten ausgesehen haben (Pappochelys rosinae). Ach, und im Naturkundemuseum am Löwentor in Stuttgart kann man diese „älteste Schildkröte der Welt“ als Fossil anschauen? Wäre eine Idee. Aber fürs Verständnis bringt eine Rekonstruktionszeichnung des lebendigen Tieres dem Laien zunächst mehr.

Familienverhältnisse: kompliziert

Und wie sind die modernen Meeresschildkröten nun mit den Landschildkröten verwandt? Klar ist, dass sich die marinen Arten aus den Landschildkröten entwickelt haben. Das scheint mehrfach in der Geschichte stattgefunden zu haben, so dass die Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse etwas kompliziert sind.

Wie lebt es sich eigentlich so als ehemaliges Landtier im Wasser? Wie haben sich die Meeresschildkröten daran angepasst, salziges Meerwasser trinken zu müssen? Wie nehmen sie ihre Nahrung auf, wie zerkleinern sie sie? Sie haben ja keine Zähne. Wir lernen Erstaunliches über ihre Sinne … wie sie unter Wasser sehen, riechen und hören und wieso sie ausgerechnet ihr empfindlicher Geruchssinn dazu verführt, im Meer schwimmendes Plastikzeug zu fressen.

Sie „reden“ und sie tauchen?

Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dass sich die Tiere nicht nur nonverbal, sondern auch mit Lauten untereinander verständigen. Und für begnadete Tieftaucher hätte ich die Reptilien auch nicht gehalten. Lederschildkröten zum Beispiel können mehr als 1.200 Meter tief tauchen. Aber die sind doch wechselwarm! Kriegen die dann im tiefen, kalten Wasser keine Probleme?

Die sieben Arten

Sieben Meeresschildkröten-Arten gibt’s, die die Autorin in Wort und Bild ausführlich vorstellt:
  • Die grüne Meeresschildkröte, auch Suppenschildkröte genannt, in allen tropischen und subtropischen Ozeanen zuhause (Atlantik, Pazifik, Indischer Ozean, Mittelmeer).
  • Die Unechte Karettschildkröte, die ausgewachsen zwischen 80 und 200 kg wiegen kann und zwischen 70 und 100 cm lang wird. Und wie sie zu ihrem bekloppten Namen kam, erfahren wir auch.
  • Die Echte Karettschildkröte wird bis heute wegen ihres außergewöhnlich schönen Panzers gejagt. Und sie beherrscht die Biofloureszenz, leuchtet im Dunkeln also neonrot und grün.
  • Die Oliv-Bastardschildkröte, noch so ein Tier mit seltsamem Namen, nistet in Massen an bestimmten Stränden. Wie sich die Tiere diesbezüglich synchronisieren und warum sie das tun, dazu gibt’s Theorien.
  • Die Atlantik-Bastardschildkröte, die seltenste Art unter den Meeresschildkröten, ist bedroht durch Wilderei und durch die hohe Beifangquote in der Fischerei.
  • Die Wallriffschildkröte, die mysteriöseste unter den Meeresschildkröten. Über sie liegen kaum wissenschaftliche Studien vor.
  • Die Lederschildkröte ist die einzige, die keine Schuppen, keinen harten Panzer und keine Krallen an den Brustflossen hat. Ihr Panzer ist von einer gummiartigen Haut überzogen. Und sie ist der Tieftauch-Champion unter den Meeresschildkröten.
Trotz gründlicher Anleitung kann ich nur drei der sieben Arten relativ sicher identifizieren. Den Rest kann ich leider nicht auseinanderhalten. Aber ich glaube, das müssen wir Laien auch gar nicht.

Supersinne und andere Geheimnisse

„Erreichen Meeresschildkröten ihr fortpflanzungsfähiges Alter, wandern Männchen und Weibchen – nachdem sie sich in küstennahen Jagdgründen ausreichende Ressourcen angefressen haben – zurück in Richtung ihrer Geburtsstrände.“ (Seite 91)

Diese Wanderung kann mehrere Monate dauern, weil die Tiere zwischen Fress- und Nistplätzen Hunderte oder sogar Zehntausende Kilometer zurücklegen. Nach Paarung und Eiablage kehren sie wieder an ihre Fressplätze zurück. Nach rund 60 Tagen schlüpfen die kleinen Meeresschildkröten und krabbeln in Richtung Meer. Die Beutegreifer warten schon. Von 1.000 geschlüpften Jungtieren überlebt schätzungsweise nur eine bis zur Geschlechtsreife.

Wie sie an den Ort zurückfinden, an dem sie geschlüpft sind, ist nicht restlos geklärt. Vermutlich verinnerlichen sie die magnetische Signatur ihres Geburtsorts und nutzen diese Information als eine Art inneren Kompass. Man weiß auch nicht genau, wo die kleinen Schildkröten ihre Kindheit verbringen. Das nennt sich „die verlorenen Jahre“. Nur bei den Karettschildkröten ist klar, dass sich die Kleinen in Richtung Golfstrom bewegen und von dort in die Sargassosee treiben lassen. Das ist ihr „Kinder- und Jugendzimmer“.

Was ist jetzt zu tun?

Bedroht sind die Tiere, wie gesagt, durch Wilderei und Fischfang (Beifang), durch Krankheit, Bebauung ihrer Niststrände sowie durch die Erwärmung und die Vermüllung der Ozeane. Wir erfahren, was bereits getan wird, um die Tiere zu schützen und zu retten, was darüber hinaus getan werden kann und müsste – und was wir selbst dazu beitragen können, auch wenn wir weit weg vom Lebensraum der Meeresschildkröten wohnen.

Ich fand das Buch unterhaltsam geschrieben und informativ. Ich habe einiges dazugelernt und mich stellenweise dafür geniert, ein Mensch zu sein. Das geht mir bei Naturschutzthemen oft so. Irgendwie kriegt der Homo sapiens eben alles kaputt.

Die Autorin

Dr. Frauke Bagusche, Jahrgang 1978, ist Meeresbiologin. Nach ihrer Promotion an der University of Southampton in England leitete sie meeresbiologische Stationen auf den Malediven und segelte 9500 Kilometer von der Karibik durch den Atlantik ins Mittelmeer, um auf die Vermüllung der Ozeane aufmerksam zu machen. Sie ist eine gefragte Rednerin und hält deutschlandweit Vorträge zu meeresbiologischen Themen. Frauke Bagusche lebt in Saarbrücken.
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