Lisa Graf: Dallmayr. Der Glanz einer neuen Ära. Roman (Dallmayr-Saga, Band 2)

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Vandam
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Lisa Graf: Dallmayr. Der Glanz einer neuen Ära. Roman (Dallmayr-Saga, Band 2)

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Lisa Graf: Dallmayr. Der Glanz einer neuen Ära. Roman (Dallmayr-Saga, Band 2), München 2022, Penguin-Verlag, ISBN 978-3-328-60223-1, Klappenbroschur, 541 Seiten, Format: 13,7 x 4,2 x 20,7 cm, Buch: EUR 16,00 (D), EUR 16,50 (A), Kindle: EUR 12,99, auch als Hörbuch lieferbar.

„Als Geschäftsmann darfst du nicht immer nur auf die Zahlen schauen. Du musst auch Visionen haben, sonst bist du lediglich ein Verwalter des Status quo und irgendwann des Stillstands.“ (Seite 105)

München 1905 bis 1920: Visionen hat Theresa Randlkofer, die verwitwete Chefin des Feinkostgeschäfts Dallmayr, genügend. Sie träumt davon, die Nachbargebäude dazuzukaufen, das Geschäft zu erweitern und ihrer Kundschaft das Lebensgefühl der modernen Warenhäuser zu bieten: leicht, elegant, weltmännisch und luxuriös.

Einsame Entscheidungen

Sie ist schon so lange „Alleinherrscherin“ in ihrem Unternehmen, dass sie nicht einmal auf die Idee kommt, ihre erwachsenen Kinder um Zustimmung zu bitten oder sie auch nur über ihre Pläne zu informieren. Sie hat eine Idee, plant, organisiert und stellt den Rest der Familie vor vollendete Tatsachen.

Tochter Elsa ist das egal. Sie ist Juristin, lebt in Zürich und will mit den Familienangelegenheiten nicht behelligt werden. Paul, der jüngste Sohn, macht eine Ausbildung in Frankfurt und hat eigene Probleme, Stieftochter Balbina hat einen Hotelier geheiratet und sich von der Sippe losgesagt. Als uneheliche Tochter des verstorbenen Patriarchen Anton Randlkofer ist sie nie wirklich akzeptiert worden und fühlt sich insbesondere durch Hermann, den ältesten Sohn des Hauses, unfair behandelt.

Hermann ist es auch, der sich über Thereses geschäftliche Alleingänge am meisten aufregt. Er fühlt sich übergangen, nicht für voll genommen und ist vom Mut und der Unternehmungslust seiner Mutter überfordert. Sie riskiert gerne was, um ihre Ziele zu erreichen, Hermann dagegen ist ein vorsichtiger Kaufmann. Mutter gibt Gas, Sohn bremst. Kein Wunder, dass das zu Problemen führt! Ein schönes Beispiel dafür ist ihre Reaktion auf die Unzuverlässigkeit eines Geflügellieferanten. Therese schaut da nicht lange zu und handelt. Hermann ist außer sich!

Intrigante Verwandte

Onkel Max, Anton Randlkofers jüngerer Bruder, ist der neidische Intrigant aus Band 1 geblieben und schreckt vor keiner Gemeinheit zurück, um einen Fuß in die Tür vom Dallmayr zu bekommen oder, wenn das schon nicht klappt, wenigstens seiner Schwägerin maximal zu schaden. Doch um es mit Therese aufzunehmen, müsste der alte Fuchs schon deutlich früher aufstehen! Wie sie ihn mit der „Froschmeier“- Nummer abzockt, das ist schon vom Feinsten!

Wir erfahren auch, wie es den Geschwistern Loibl ergangen ist: Aus Ludwig, dem einstigen Dallmayr-Lehrbub, ist ein erfolgreicher Chocolatier in Frankreich geworden, seine pfiffige Schwester Lilly entwickelt sich zur engagierten Frauenrechtlerin. Ist es denn nicht ein Unding, dass Frauen noch immer nicht wählen dürfen?

Elsas verwegener Umgang

Die interessantesten Kontakte hat wohl Elsa Randlkofer. Als Schülerin schon ins Künstlermilieu hineingerutscht, umgibt sie sich jetzt mit verwegenen Revolutionären, Sozialisten und Friedensaktivisten wie z.B. Sonja Lerch (Sarah Sonja Rabinowitz) und dem Russen Alexej Droschin. Elsa ist finanziell und auch sonst unabhängig, in Zürich weit weg von den kontrollierenden Blicken ihrer Angehörigen und kann tun und lassen was sie will. Die Szene, in der sie ihrem „kleinen Bruder“ Zweck und Funktion von „Granvilles Hammer“ erklärt, ist der Brüller!

Wie so oft in Familiensagas, in denen die Personen eine Entwicklung durchmachen, wechseln mit der Zeit die Sympathien der Leser:innen. Mir zumindest geht das so. In Band 1 habe ich Elsa noch für einen arroganten, verzogenen Fratz gehalten, in Band 2 hat sie sich zu einer selbstbewussten und weltoffenen Frau entwickelt. Dafür nervte mich auf einmal Hermann. War der immer schon so spießig?

Harte Zeiten

Der Leser ahnt natürlich, dass die Randlkofers und die Firma Dallmayr bald Rückschläge erleiden werden, denn im Ersten Weltkrieg ist es vorbei mit luxuriöser internationaler Importware und zahlungskräftiger Kundschaft. Paul gerät in Kriegsgefangenschaft und Ex-Lehrling Ludwig sitzt als Deutscher, der in Frankreich lebt und mit einer Französin verheiratet ist, zwischen zwei Stühlen. Da es den Dallmayr heute noch gibt und er immer noch im Besitz der Familie Randlkofer ist, werden sie sich wohl irgendwie durchgewurstelt haben. Nur wie?

Politische, gesellschaftliche und technische Entwicklungen sind elegant in die Familiensaga eingeflochten. Ja, und natürlich möchte man die Köstlichkeiten, die Lisa Graf so beschreibt, dass man sie zu sehen, zu riechen und zu schmecken meint, am liebsten an Ort und Stelle verkosten!

Gibt’s eigentlich einen dritten Teil der Saga? Oder steht und fällt die Reihe mit der starken Führungspersönlichkeit Therese Randlkofer? Die Söhne wirken ja weit weniger charismatisch als die Mutter. Und die Töchter, Elsa und Balbina, sind weitgehend aus dem Familienbusiness raus. Ich würde dieser Familien- und Firmengeschichte gerne noch ein Weilchen folgen.

Roman, keine Biographie

Natürlich ist mir bewusst, dass das keine Biographie ist, sondern ein Roman, der sich an reale Personen und Ereignisse anlehnt. Therese und Anton Randlkofer gab‘s wirklich, genau wie ihre Kinder Hermann, Elsa und Paul. Halbschwester Balbina dagegen ist eine fiktive Figur. Ich habe mich dann bei jeder Nebenfigur, von der ich noch nie zuvor gehört hatte, gefragt, ob die nun real oder erfunden ist. Gab’s den Onkel Max und war er wirklich so ein unangenehmer Zeitgenosse? Wie ist das bei Alexej Droschin? Und was wurde aus Elsa? Ich habe mich dann in den unendlichen Weiten der Internetsuche verloren. Das sind die bekannten Nebenwirkungen eines Romans, in dem historische und fiktive Menschen und Ereignisse vorkommen.

In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie es die reale Familie Randlkofer aufgenommen hat, dass es eine Romanreihe über ihre Familie gibt. Wenn die Nachkommen an solchen Buchprojekten mitwirken, mit dem Autor sprechen und ihm Informationsmaterial über ihre Familiengeschichte zukommen lassen, sind sie oft stolz darauf, dass jemand ihren Vorfahren auf diese Weise ein Denkmal gesetzt hat. Meines Wissens gab es hier keine familiäre Mitwirkung und die Randlkofers haben sich auch nie zu der Reihe geäußert.

Wie würde ich es wohl finden, wenn jemand die Geschichte meiner Familie romanhaft aufbereiten würde, ohne mich zu (be-)fragen? Ich glaube, ich wäre nicht so begeistert. Aber gut: Das ist, wenn überhaupt, das Problem der heutigen Familie Randlkofer und nicht das der Leserinnen und Leser. Als historischer Roman ist die Dallmayr-Saga unterhaltsam, spannend und man lernt noch was dazu.

Die Autorin

Lisa Graf ist in Passau geboren. Nach Stationen in München und Südspanien schlägt sie gerade Wurzeln im Berchtesgadener Land. Als Hobbybäckerin hat sie eine Schwäche für Trüffelpralinen und liebt Zitronensorbet mit Champagner. Mit ihrem grandiosen Familiensaga-Auftakt »Dallmayr. Der Traum vom schönen Leben« eroberte sie sowohl die Herzen ihrer Leserinnen als auch die Bestsellerliste.
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