Hans Jürgen Kugler: Freier Fall

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Eguzkia
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Registriert: Sa 12. Dez 2015, 23:01

Hans Jürgen Kugler: Freier Fall

Beitrag von Eguzkia »

Verdammt zur Freiheit in der Bindungslosigkeit …

... oder vielleicht ist sie ja auch frei gewählt? Bestimmt nicht bei der kleinen Ameise, die von ihrem Volk verstoßen einsam durch die Welt irrt. Schon eher bei einem Sternenfahrer, den nichts an die Erde band und der sich zu einer wissenschaftlichen Expedition ins All gemeldet hatte, die nun havariert und ohne Kontakt zur Erde durch den (fast) leeren Weltraum rast. Und vielleicht doch nicht ganz so frei gewählt beim dritten Protagonisten dieses bemerkenswerten, in großen Teilen philosophischen Textes, einem innerlich zerrissenen Einzelgänger von Kindheit an, zunächst ausgegrenzt, später in teils verachtungsvoller, teils bedauernder und eben fraglich-freier Entscheidung.
Diese drei Erzählstränge laufen nebeneinander her, und zumindest die Reflexionen der beiden menschlichen Protagonisten weisen manche Parallelen auf oder scheinen sich die Bälle zuzuwerfen. Die Zuordnung der jeweiligen Perspektiven ist dabei durch das geniale Layout (benSwerk) des ohnehin wunderbar gemachten Buches stets eindeutig, da sie in drei verschiedenen Farben gesetzt sind. Dazwischen markieren farbige Blätter die einzelnen Kapitel, zwei Bilder zu Beginn und die Coverillustration (Mario Franke), eine immer mal wieder auftauchende Ameise sowie die tolle Gestaltung (knuffig im Griff, Lesebändchen) machen dieses Objekt zu einem heißen Kandidaten für das schönste Buch des Jahres 2022.
Die Beschreibung der eingangs erwähnten Bindungslosigkeit beginnt mit der Schilderung einer Ent-Bindung. Und dieses "Den-Worten-auf-den-Grund-Gehen" ist das hervorstechende sprachliche Merkmal des Textes. Die Worte sind mit Bedacht gewählt und miteinander verknüpft und erörtern von allen Seiten die Frage der Freiheit – der Willensfreiheit, der Freiheit von Bindung und Verantwortung – und dem damit einhergehenden Mangel an mitmenschlichen Beziehungen. Wobei geradezu zwingend das Eingangsbild des Geburtsvorgangs zum Schlussbild des in seinem stählernen, vollautomatisierten Raumschiff-Uterus kauernden und seiner endgültigen Ent-Bindung vom Leben harrenden Astronauten führt.
Ein außergewöhnliches Buch, das den Rahmen der klassischen Science-Fiction sprengt.

Hans Jürgen Kugler: Freier Fall. Berlin: Hirnkost 2022. 156 ISBN 9783949452468. S. € 20.-
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