McGrath Patrick Port Mungo

Stellen Sie ein Buch detailliert vor - mit Inhaltsangabe und Ihrem Urteil.
Antworten
Benutzeravatar
bienwald
Beiträge: 1135
Registriert: Mi 2. Aug 2006, 16:50
Wohnort: Südpfalz
Kontaktdaten:

McGrath Patrick Port Mungo

Beitrag von bienwald »

Bild


Buchdaten:

281 Seiten

Verlag: Bvt Berliner Taschenbuch Verlag;

Auflage: 1 (Juli 2006) Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3833303816
ISBN-13: 978-3833303814



Der Autor:
Der Autor Patrick McGrath wurde 1950 in London geboren. Er besuchte ein Jesuitengymnasium und studierte Literaturwissenschaft. Nach Jahren in den USA, Kanada sowie auf einer entlegenen Insel im Pazifik lebt er heute als freier Schriftsteller in London und New York. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt der Roman "Stella" (Berlin Verlag 1996)



Klappentext:
"…..Gin, die den Bruder stets aus der Ferne begleitet, die Jack und Vera immer wieder finanziell unterstützt, erzählt uns die Geschichte einer großen und grausamen Liebe. Mit Gins kühler Stimme beschwert McGrath die wilde, fast bedrohliche Vitalität zweiter Künstler, die einander mit großer Leidenschaft zu Grunde richten, bis schließlich nur noch der mysteriöse Tod der ältesten Tochter sie aneinander und an das Leben zu binden scheint. Am Ende wird nicht einmal Gin die lebenslang gehegte Bewunderung für ihren Bruder aufrechterhalten können……"




Meine Zusammenfassung
Gin erzählt ihr Leben im Rückblick. Ihr ganzes Leben war von ihrem Bruder geprägt.
Sie hatten nach dem Tod der Eltern ein Vermögen geerbt, das Gin verwaltete, ihr Bruder Jack war noch nicht volljährig.
Sie lebten zunächst in England. Als Jack, der Maler werden möchte, mit 17 Jahren eine Begegnung mit dieser extrovertierten, temperamentvollen, ungezügelten 30-jährigen Malerin Vera hat, wird ihrer beider Leben miteinander verbunden, unlösbar, zwanghaft.
Und bereits nach wenigen Wochen beschließt er von England abzuhauen, und bietet Vera an, ihn zu begleiten. Gin gibt ihm das nötige Geld, und die beiden verschwinden Richtung New York.

Wie es in NY weitergeht, erzählt Jack Gin Jahre später, immer in kleinen Auszügen. Nach einigen Wochen voller Feten und Nichtstun, Vera kannte dort die Künstlerszene, begann sich Jack zu langweilen, er wollte arbeiten, wollte malen. - -
Und so zogen sie eines Tages los, mit dem Schiff Richtung Süden.
Er schildert dann ihre Stationen, die über Miami nach Kuba gingen, wieder zurück und sie blieben in Honduras, eben in Port Mungo hängen. Der Mungo ist ein Fluss, an dessen Ort Jack und Vera eine alte ehemalige Bananenfabrik am Flussrand mieten. Dort richtet sich Jack oben sein Atelier ein, es ist gutes Licht, viel Platz, ansonsten ist es aber eine Bruchbude, jeglicher Wohnkomfort fehlt. Sie hausen da ganz zufrieden…..zunächst. -

Und diese Schilderungen stammen jetzt von Jack gegenüber Gin, sind also subjektiv, von seiner Sicht aus geschildert. Aber seine Schwester glaubt ihm das, warum sollte sie ihm nicht glauben? - - -

Vera malt kaum, trinkt viel Alkohol, und schließlich geht sie wieder auf Tour, zunächst mal nur im Ort ein paar Tage und Nächte, dann mehrere Wochen, bis hin zu mehren Monaten, wo sie sich irgendwo herumtreibt. Wie sie das finanziert, ist nicht zu erfahren. Sie hat Liebhaber, auch im Ort selbst, u.a. auch einen Arzt, der aus England stammt, und der den Bruder von Jack und Gin, Gerald, auch ein Arzt, vom Studium her kennt. Aber das wird erst sehr viel später eine Bedeutung bekommen. -

Wie gesagt, das sind alles Schilderung von Jack….. Jack und Vera bekommen schließlich eine Tochter, Peg. Während Peg und Jack ein sehr inniges Verhältnis zu haben scheinen, verschwindet Vera auch wieder für längere Zeit, immer wieder. - Jack verbringt viel Zeit mit seiner Tochter Peg, er malt sie, und er malt und arbeitet täglich von morgens bis abends, unaufhörlich malt er seine Bilder. Ein auffallendes ist darunter, ‚Narziss im Urwald'

Vera und Jack bekommen, als Peg vier Jahre alt ist, eine weitere Tochter, Anna.
Das wilde Leben in Port Mungo wird geschildert, heiß, trocken, abgelegen, ist es für Jack nicht wild, aber Vera ist eben unbändig, wild, und alleine ihre Erscheinung, wirres langes rotes Haar, grellrot geschminkte Lippen, wo sie mit weit aufgerissenem Mund lacht, wo ihre Zahnlücke vorne zu sehen ist, die sie schon damals in London hatte. - Sie kleidet sich ebenso auffällig, schlampig, außergewöhnlich, aufreizend, mehr an eine Prostituierte als eine Malerin erinnernd….. Vera und Jack streiten sich sehr häufig, es geht lautstark zu, auch gibt's körperliche Auseinandersetzungen. - Sie kehrte immer wieder zurück.
Zunächst der Schilderung entnehmend, dass sie unauflösbar verbunden sind, mit einer kaum erklärbaren Hassliebe, zerstörerisch, wild, sich gegenseitig anziehend wie zwei Pole.

Vera erzählt:
"…'jeden Tag der vergangenen Woche hatte er von Sonnaufgang bis Sonnenuntergang in seinem Atelier verbracht. Er erschien nur kurz zum Mittagessen, mit Farbe an den Händen, und gab nichts weiter von sich als ein oder zwei Knurrlaute, und nach Sonnenuntergang waren mehrere Gläser Rum notwendig, um ihm eine menschliche Äußerung zu entlocken. Man stelle sich das jeden Tag vor, monatelang, jahrelang - und mit einem Mal verstand ich, warum Vera auf Wanderschaft ging, meine moralische Einschätzung der Familiensituation kehrte sich um und ich sah in Jacks eiserner Disziplin eine Art stumme, grüblerische, nach innen gewandte negative Energie, die einer Frau wie Vera die Lebenskraft entzogen und sie an den Rand des Wahnsinns getrieben haben musste. Kein Wunder, dass sie sich mit ihm stritt! Kein Wunder, dass sie sich Liebhaber nahm, wie konnte sie es anders mit meinem Bruder aushalten, dessen einziger Dialog im Leben - das hatte ich unbewusst schon wahrgenommen - der mit sich selbst war. Eines der Bilder, das er mir gezeigt hatte, trug den Titel ‚Narziss im Urwald'. Jetzt verstand ich, worum es darin ging. Es war ein Selbstbildnis."

und wieder Gin:
"….Im Laufe der Zeit lernte er, ihr nicht zu viele Fragen über ihre Reisen zu stellen. Zu schmerzhaft, sagte er. Es war genug, dass sie immer wieder nach Port Mungo zurückkam, sogar, wenn sie ein ganzes Jahr dafür brauchte, wie es einmal der Fall war. Als ich das hörte, staunte ich wieder einmal über die Unverwüstlichkeit der Gefühle, die mein Bruder für Vera hegte, und daran sollte sich auch nicht ändern bis zu dem Tag, an dem er starb………"

Als dann dieses Unglück mit Peg geschieht, zunächst auch kaum durchschaubar was wirklich geschah, weil Jack es nach Jahren ganz anders erzählt als Vera, verlässt Vera ihn wieder mal. - Jack besucht mit seiner vierjährigen Tochter Anna Gin, die mittlerweile auch in New York lebt, dort ein größeres Anwesen gekauft hat.

Bei dieser Gelegenheit taucht plötzlich Gerald, der Bruder von Jack und Vera auf, und nimmt kurzerhand seine Nichte, die kleine Anna mit nach London. - Warum und wieso und auf welche Hinweise hin er das getan hat, wird erst ganz am Schluss der Geschichte näher bekannt. Zunächst gibt er als Begründung an, Anna so ein Leben wie Peg zu ersparen, ihr eine gute Schulbildung und ein bürgerliches, behütetes Leben zu ermöglichen. -
Gin, Jack und auch Vera nehmen das hin. Die ganzen Geschehnisse, alle Einzelheiten, werden in Gesprächen, die oft sehr holprig verlaufen von Seiten Jacks, geschildert, oft in vielen kleinen Episoden, abrupt abgebrochen, sehr viel später oft fortgesetzt.

Und zwar zu der Zeit, als Jack beschlossen hatte, von Port Mungo wegzuziehen und nach New York zu ziehen, zunächst aber in einer eigenen, primitiven Wohnung, nicht im Haus seiner Schwester. - Das kommt dann später, wo es ihm gesundheitlich schlecht geht, und er schließlich zu Gin in ihr schönes großes Haus zieht, wo Bedienstete sind, und wo er ganz oben unter dem Dach ein großes Atelier zur Verfügung hat. Dort oben lebt er total zurückgezogen, oft über Tage und Nächte sich kaum zeigend, malt, malt……
Dazwischen einige Unterhaltungen zwischen ihm und Gin, teils weil er selbst mal etwas loswerden möchte, teils weil Gin nachfragt, wie und was dann und dann gewesen ist. - Und immer wieder kommt der Tod von Peg ins Spiel.
Jacks Version, er gibt an, sie von Vera so erzählt bekommen zu haben, besagt, Vera und Peg seien zusammen im Boot rausgefahren, im Sturm, beide zugekifft oder alkoholisiert, und Peg sei über Bord gegangen, und sie habe sie stundenlang im Wasser gesucht, aber nicht gefunden. - Peg wird sehr viel später im Mangrovengebüsch am Ufer gefunden.

Hatte Gin von Anfang an eine gewisse Aversion gegenüber Vera, so hatte sich das im Laufe der Zeit gewandelt. - Vera besuchte Gin in New York, sie selbst hielt sich immer mal wieder dort auf, und Gin erfährt so nach und nach auch einiges von Vera, wobei die immer mehr zurückhaltend ist, und auch nicht viel preisgeben möchte. -

Als Gin mal einiges wenige über ihr eigenes Leben erzählt:
"………Ich glaube, ich gelangte in den Ruf eines Eisbergs, als ich jung war, aber das schreckte die Männer nicht ab, im Gegenteil, und ich begriff, dass sie mich mochten, weil ich stärker war als sie, während ich einen Mann wollte, der stärker war als ich. Jemanden wie Jack. - -
In New York war es anders, denn dort fand ich Männer mit diesem brutalen Narzissmus, der mich anzog, aber das Problem bei den meisten New Yorker Männern war, dass ihnen etwas fehlte was selbst der schlaffeste Engländer im Übermaß besitzt, und das war Witz. New Yorker konnten die ganze Nacht lang mit großer Leidenschaft von sich selbst reden, mit weitaus mehr Leidenschaft, als sie je im Schlafzimmer aufzubringen vermochten, aber das Unerträgliche daran war, dass sie diese Ego-Höhenflüge mit einer geisttötenden Ernsthaftigkeit betrieben. Kein Funken Humor, kein plötzliches Aufblitzen boshaften Spotts, keine galligen Randbemerkungen - keine Selbstironie, die einzigen echten Bosheiten, die ich in meiner ersten Zeit in Manhattan hörte, kamen aus dem Munde von Homosexuellen, die mich wegen meines Eisberg-Gebarens mochten und die ich amüsant fand, aber sie waren im wahrsten Sinne des Wortes meine Konkurrenten, denn sie waren hinter denselben Männern her wie ich………………."


Als Jack bei ihr wohnt, mittlerweile war Anna aus England zurückgekehrt und lebte zeitweise auch im Haus von Gin und Jack:
"…..Wir gingen ins Atelier. Ich habe gesagt, dass Anna schön war. (Sie standen vor einem Bildnis das Jack von Anna gemacht hatte). Aber gleichzeitig war sie knochig und linkisch, was sich in dem Bild wieder fand. Und als Jack es ans Fenster trug und auf das Fensterbrett stellte, damit es vom Nachthimmel umrahmt wurde, fiel mir ein, dass das Bildnis seine Kraft aus eben dem Gegensatz zog der das Mädchen schön machte - ihre Schönheit existierte gewissermaßen nur in der Vorstellung, denn sie war nicht makellos, sie war belastet, in ihr kämpfte Gram mit Heiterkeit - die Gletscherstarre der klassischen Schönheit war hier durch unterirdische Kollisionen und Risse gestört. Im Widerstreit wurde Anna schön, während sie sonst nur schlaksig wirkte - war es das? Ich sagte das zu Jack, als ich das Bild betrachtete, und er erwiderte, am liebsten würde er Vera diese Frage stellen, sie hatte sich das bestimmt schon über jemand anders gefragt und war zu Antworten gelangt, für die er sich fünf Jahre lang den Kopf zerbrechen musste…….."

Die Geschichte entwickelt sich natürlich weiter, wird dubios, überraschend, teilweise mysteriös, auch grausam. Und das Ende der Geschichte entwickelt der Autor in mehreren Phasen. - Und das Ende ist überraschend.


Meine abschließende Meinung
Sehr interessant ist zunächst mal der Stil, den der Autor verwendet. Er lässt Gin erzählen, und zwar nicht chronologisch, sondern immer wieder, bei verschiedenen Gelegenheiten. Alles was erzählt wird, wird von Gin erzählt, und erzählen es andere, erzählen sie es Gin, oder sie erzählen, was jemand anderes jemandem erzählt hat.

So zeichnete sie ein Bild der exzentrischen, ungehemmten, wilden, unkonventionellen Vera, aber auch ihren Bruder beschreibt sie als zumindest unkonventionell, aber im Gegensatz dazu introvertiert, schwer durchschaubar, wenn auch nicht für sie, da sie ihn ja vergöttert und eigentlich alles in einem positiven Licht sieht, was den Charakter, das Handeln und die Lebensweise Jacks betrifft. - Und sie glaubt auch alles, stellt alles andere In Frage, glaubt es schlicht einfach nicht.

Obwohl einiges nachdenkenswert gewesen wäre, aber in ihrer unerschütterlichen Liebe zu ihrem Bruder kann sie das nicht erkennen, schiebt jegliche Schuldzuweisungen auf andere, so wie sie es von ihrem Bruder eben erzählt bekam/bekommt.

Die Dramaturgie ist hochinteressant, und bleibt von der ersten Seite an spannend bis zum letzten Satz.

Sinnlich, leidenschaftlich wird diese Geschichte erzählt, vor dem sehr interessanten Hintergrund der landschaftlichen Reize oder auch der Kargheit von Port Mungo, wo das Leben einfach total anders ist als sonst irgendwo.
Besonders natürlich im Gegensatz zu England oder der westlichen Welt.

Aber auch über das Intermezzo der beiden auf Kuba, vor der Revolution. - Immer wieder, wie auch hier, gibt es Schilderungen über das Leben dort, insbesondere des Künstlerlebens, aber auch über die landschaftlich reizvollen Gegenden, wo die beiden leben.

Alles in allem ist das ein Buch, das nicht nur sehr spannend zu lesen war, sondern auch beeindruckt durch seinen ungewöhnlichen Stil; es befriedigt jeden Leser, der Inhalt, Stil und Dramaturgie zu schätzen weiß. Da ist nichts, was mir gefehlt hätte, ob es um Charaktere geht, deren Beschreibung, deren Entwicklung, oder die Verwicklungen von schwierigen Situationen, interessanten, außergewöhnlichen Menschen, eben deren Charaktere, die wunderbar beschrieben sind.
Herzlichen Gruß
Bienwald
Bild

hier gehts zu meiner HP
Antworten