Totenmesse - Arne Dahl

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LilStar
Beiträge: 50
Registriert: Do 13. Nov 2008, 16:35

Totenmesse - Arne Dahl

Beitrag von LilStar »

Inhalt:
Cilla Hjelm betritt um 10.39 Uhr die Bank im vornehmen Stockholmer Viertel Östermalm. Hätte sie geahnt, was ihr bevorsteht, sie hätte einen anderen Tag für ihren Besuch gewählt. Um genau 10.40 brüllen die Maschinengewehre der zwei Maskierten los, Glas splittert, und Cilla presst ihr Gesicht flach auf den Mamorboden. Was aussieht wie ein brutaler Banküberfall, entpuppt sich bald als etwas sehr viel Ernsteres, Weitreichenderes: Die beiden russischen Bankräuber, mit denen das A-Team um Kerstin Holm und Cillas Exmann Paul Hjelm verhandelt, sind nicht auf das Geld aus. Denn plötzlich sind sie verschwunden, und ihre Spur führt bis nach Berlin und Wolgograd, bis in die Zeit des Kalten Kriegs und der Jagd nach einer wertvollen chemischen Formel, für die viele Leute über Leichen gehen würden.

Kommentar:
Arne Dahl hat mit "Totenmesse" einen ziemlich verwobenen Polit-Krimi geschrieben.
Es ist der bereits 7. Krimi rund um das Stockholmer A-Team, was auch erklärt, dass viele Charaktere vorkommen, die gar keine eigene Einleitung mehr erhalten. Beudetet, dass viele Charaktere für Leser, die noch keinen der Vorgängerbände gelesen haben, farblos und undurchsichtig bleiben. So ging es mir jedenfalls. Dies war mein erstes Buch von Arne Dahl und die ganze Zeit über bekamen die meisten Charaktere - mit Ausnahme von Paul Hjelm vielleicht - kein eigenes Gesicht, sondern gingen einfach in diesem gut eingespielten Team unter.

Das A-Team wird mit der Auflösung eines schwierigen Falles betraut. Was zunächst aussieht wie ein normaler Banküberfall mit Geiselnahme, entpuppt sich schnell als etwas größeres. Nicht nur das A-Team, auch der Leser wird lange Zeit im Unklaren darüber gelassen, was es wirklich mit der Geschichte auf sich hat. Im Gegensatz zu den Protagonisten erfährt der Leser aber immer wieder einige Einschübe aus dem Tagebuch eines deutschen Kriegsveteranen, der im 2. Weltkrieg in Russland kämpft und der allen Anschein nach vor dem Krieg auch ein brillanter Wissenschaftler war. Trotz diesen Einschüben sah ich aber lange Zeit keinen Zusammenhang zwischen den Geschehnissen. Das kam wirklich erst auf den letzten 80 Buchseiten.
Die ganze Zeit über versteht man, dass es etwas mit den Rohölvorkommen der Weltgeschichte zu tun hat, um das sich die Menschheit ja seit jeher kloppt. Sowohl damals im zweiten Weltkrieg, wie auch aktuell beim Irakkrieg. Die Frage war die ganze Zeit über: Wie stehen diese Ereignisse und der Banküberfall in Schweden im Zusammenhang?

Generell ist es Arne Dahl ziemlich gut gelungen diese Ereignisse in einem harmonischen Zusammenhang zu bringen. Wie, das zeigt das Ende des Buches, das ich an dieser Stelle nicht verraten will.

Im Buch gibt es übrigens an vielen passenden Stellen immer wieder Andeutungen zum Buchtitel. Denn zu passenden Gelegenheiten hören die Personen im Buch die Totenmesse von Mozart, ein Requiem, eine Messe für Verstorbene, denn Tote gab es viele im Laufe der Menschheitsgeschichte.
subechto
Beiträge: 533
Registriert: Mi 18. Feb 2009, 22:10

Geniale Projektion!

Beitrag von subechto »

Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag: zeitgleich mit dem Beginn des
Irakkriegs am 20. März 2003 findet in einem Stadtteil von Stockholm ein
Banküberfall statt. Und genauso wie die USA den Irak in Grund und Boden gebombt haben, soll halb Stockholm in die Luft gejagt werden!

Es geht um die Kriege des vergangenen Jahrhunderts: der 2. Weltkrieg, der Afghanistankrieg, der Irakkrieg, nicht zuletzt der kalte Krieg zwischen Ost und West, Also immer wieder der Kampf ums Öl. Und es geht um eine chemische Formel, die diese fossilen Brennstoffe ersetzen soll. So überrascht es nicht, dass die russischen Bankräuber gar keine Terroristen sind, sondern (ehemalige) Spione, denen es weniger ums Geld geht, als vielmehr um diese Formel...

Und es geht um Sicherheit, einem Grundbedürfnis der heutigen Zeit:
Datensicherheit, Sicherheitsfirmen, die Stasi (Staatssicherheitsdienst der
ehem. DDR), ebenso wie Firewalls und richtige, gemauerte Wände. Überhaupt ist dieses Buch gespickt mit Projektionen, Parallelwelten und Metaphern. Auch das Schlüsselwort "fossil" taucht immer wieder auf, in seinen verschiedensten Bedeutungen.

Arne Dahls Krimis sind anders. Seine anspielungsreichen, intelligenten und facettenreichen Fälle sind keine ganz einfach zu konsumierende Krimikost, sondern spannende Unterhaltung der Extraklasse. So auch dieses Mal. Dahls ?A-Team? besteht aus einer ganzen Reihe von Ermittlern, und in jedem seiner Krimis rückt der Autor ein anderes Teammitglied in den Mittelpunkt. In Totenmesse ist es Paul Hjelms Ex-Frau Cilla. Denn sie befindet sich zur falschen Zeit am falschen Ort, gerät in den Banküberfall, wird als Geisel genommen und verliert die Sprache, genau wie Bush. (Metapher!)

Der Titel von Arne Dahls neuem Buch Totenmesse bezieht sich auf Mozarts Requiem, einer Musik, bei der sich Sonderermittler Paul Hjelm gerne entspannt. Sie zieht sich durch das gesamte Werk und ehrt die zahlreichen Toten, die in diesen vielen, unsinnigen Kriegen des verlorenen 20. Jahrhunderts gestorben sind.

Ich liebe intelligente Krimis mit Niveau, gerne auch mit aktuellem, politischen Hintergrund. Mit seinen sympathischen Charakteren und seinen kurzen, knackigen Sätzen trifft Dahl genau meinen Geschmack. Mein bisheriger Favorit aus dieser Reihe war Rosenrot, aber Totenmesse ist mindestens genauso gut: unbedingt empfehlenswert!
Stephi
Beiträge: 15
Registriert: Fr 6. Mär 2009, 16:46

Ein Puzzle der Extraklasse!

Beitrag von Stephi »

Was haben eine Geiselnahme, der Kalte Krieg, ein Ferienhaus im Mittelmeerraum und fossile Brennstoffe miteinander zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Arne Dahl belehrt seine Leser jedoch eines Besseren. Er konstruiert eine Handlung, deren einzelne Handlungsstränge anfangs keinen Bezug zueinander zu haben scheinen, die sich aber mit dem Fortschreiten des Buches immer weiter annähern, bis am Ende schließlich ein kompliziertes Geflecht aus Überschneidungen und Zusammenhängen entsteht, was dem Leser aktuelle Probleme der Welt vor Augen führt.

Obwohl ich zugegebenermaßen anfangs Probleme hatte, in die Handlung hineinzufinden, konnte Dahl mich absolut überzeugen. Er schreibt ein sehr anspruchsvolles Buch, was überraschend komplex ist und in meinen Augen nicht zu der Kategorie ?für zwischendurch? gehört. Besonders gut gefallen hat mir die recht große Ermittlergruppe. Es gibt in Form von Kerstin Holm zwar eine Leiterin, dennoch sind die einzelnen Mitglieder der Gruppe gleichermaßen an der Lösung des Falls beteiligt. Es wird nicht, wie so oft üblich, ein Ermittler in den Mittelpunkt gestellt, was der Handlung in meinen Augen viel Authentizität verleiht.

Als besonders positiv ist mir außerdem der Stil Dahls aufgefallen. Er versteht es, die Gefühle und Gedanken der einzelnen Personen immer in die entsprechende Situation einfließen zu lassen. Dabei macht er keinen Unterschied zwischen ihren Positionen und verleiht ihnen eine Tiefe, die in dieser Form selten in Thrillern zu finden ist. Ermittler und Verdächtige werden gleichermaßen greifbar für den Leser und ermöglichen es ihm, sich ein eigenes Bild zu machen. Gekoppelt mit einer sehr angenehmen und den einzelnen Handlungsabschnitten angepassten Sprache entsteht ein rundes Gesamtbild, wodurch das Buch flüssig zu lesen ist.

Alles in allem bietet ?Totenmesse? großartige Unterhaltung auf hohem Niveau mit einem spannenden Ende, das ebenso überzeugend ist, wie das ganze Buch. Dabei kommen weder zwischenmenschliche Beziehungen noch Witz zu kurz. Ich möchte dieses Buch sehr empfehlen.
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