Jakob Hein "Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht&qu

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annaw
Beiträge: 3
Registriert: Di 30. Sep 2008, 09:48

Jakob Hein "Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht&qu

Beitrag von annaw »

Meine Rezension

Boris Moser zählt sicher nicht zu den begehrten und erfolgsreichsten Männern überhaupt. Seine Agentur für verworfene Ideen scheint auf ersten Blick eine typische Insolvenzfalle zu sein. Umso mehr will er sich um die Gunsten der schönen Rebecca zu kümmern, die als erste ?Kundin? seinen Laden beträt. Sein Charme reicht da aber leider nicht aus. Um die Frau an sich länger zu binden, ist er gezwungen ihr von seinem bisher geheim gehaltenen Romananfang zu erzählen.

Es geht um eine wunderschöne und perfekte Sophia, die von der Menschheit fluchtet, in dem sie eine Arbeit einer Sekretärin bei einem alten und blinden Schriftsteller annimmt, um seinen wahrscheinlich letzten Roman zu Papier zu bringen. Der Protagonist heißt Heiner, eine Art des modernen Faust, wenn man so will, und er ist nur einen Schritt davon entfernt den Sinn des Lebens zu erraten. Dabei trifft er auf den Wolf, der mit aller Kraft versucht ihm seine Pläne zu durchkreuzen.

Auf seiner Suche nach dem Zweck des Seins, erstellt Heiner eine für mich sehr interessante These, nämlich dass die Menschen gar nicht nach der Glückseligkeit streben sondern nach dem Gegenteil. Der Mensch wird der Sachen, die er besitzt sehr schnell übersättigt, und es ist egal ob es sich dabei um Geld, Wissen oder Gefühle handelt. Das bekannteste Beispiel ist der mit dem Wasser. Für einen durstigen Mensch, der durch die Wüste marschiert, wäre ein Schluck Wasser unbezahlbar, wobei für einen der gemütlich zu Hause sitzt und mit verschiedenen Getränken besorgt ist, sei Glass Wasser nicht so wichtig. Vermutlich ist auch der Überdruss der Grund warum sich die Rebecca von jemand wie Boris angezogen fühlt.

Allgemein gefällt mir das Buch sehr gut. Man kommt aus einer Geschichte gleich in die nächste, und jede scheint interessanter als die andere zu sein. Neben Sachen, über die der Leser zum Nachdenken gezwungen wird, gibt es viele Stellen, an denen man einfach lachen muss. Also nichts wie lesen!
sillesoeren
Beiträge: 22
Registriert: Sa 8. Nov 2008, 17:02

Was Tee und Milchkaffee verbindet

Beitrag von sillesoeren »

Allein für die detailverliebten Monologe der jeweiligen Protagonisten zur vollendeten Herstellung von Tee und Milchkaffee an vollkommen unterschiedlichen Stellen im Buch hat sich die Lektüre gelohnt. Das liest sich jetzt vielleicht profan, aber jemand, der einen philosophischen Roman schreibt, bei dem es um den Sinn des Lebens geht, und dabei so viel Zeit und Schreibenergie auf die Zubereitung von Heißgetränken verwendet, hat den Sinn des Lebens vielleicht sogar schon gefunden.

Jakob Hein hat es fertig gebracht, auf nur 174 Seiten vier Geschichten ineinander zu verschachteln, sympathische Charaktere einzuführen, mitreißend zu erzählen und am Ende alle Schachteln mit einem passenden Deckel zu versehen. Allein die äußere Schachtel mit der Agentur für verworfene Idee hat mir so gut gefallen, dass ich mir davon ein ganzes Buch erhofft hätte. Doch hier will der Autor dem Leser wohl sagen: bring deine verworfenen Ideen nicht in eine Agentur, sammele sie selbst und mach das Beste draus. Viele zufriedene Menschen führen ein Notizbuch, in dem kunterbunt zusammengewürfelt noch nicht ausprobierte Rezepte, Ideen für einen Romananfang, to-do-Listen und Sammlungen möglicher Weihnachtsgeschenke enthalten sind. Daran fühlte ich mich beim Lesen der "äußeren Schachtel" erinnert.

Die nächste Schachtel spricht aus dem Leben: Wer will nicht lieber einer jungen, hübschen Frau helfen, wenn sie bewusstlos auf der Straße zusammenbricht, als einem alten, hässlichen Menschen, obwohl dieser viel nötiger auf Hilfe angewiesen ist? Leider sind wir Menschen so, das ist auch eine meiner Erfahrungen aus DRK-Einsätzen.

Der alte Maulwurf aus der nächsten Schachtel ist vielleicht ein typischer Vertreter seiner Generation: altersstarrsinnig, uneinsichtig und doch voller Träume und Ideen. Ich könnte diesen Kerl knuddeln, wenn er wieder gegen ein Möbelstück gelaufen ist.

Bei der innersten Schachtel kann der Leser nicht einmal sicher sein, ob sich darin nicht noch eine oder mehrere weitere Schachteln verbergen, von denen ihm der Autor nur nichts verraten will. Hut ab, Jakob Hein traut sich an jedes Thema heran und geht sogar mit dem Sinn des Lebens so scheinbar mühelos - fast schwerelos - um, dass ich beim Lesen immer wieder lächeln musste. Die Moral dieser Geschichte ist schnell erkannt: Hüte dich vor deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen!

Das Buch in sich ist absurd: Boris spricht von Romananfängen, am Ende sind aber alles jeweils abgeschlossene Geschichten, selbst die Rahmenhandlung findet ein Happy End. Auch nach dem Zuklappend er Buchdeckel hänge ich noch vielen Gedanken nach, besonders zu Heiner, der beinahe den Sinn der Lebens entdeckte. Nun hat er die Möglichkeit und nutzt sie nicht. Oder wurde er schon fündig und merkt es (noch) nicht? Alles in allem ist dieser Roman ein Lesevergnügen für ein paar gemütliche und nachdenkliche Stunden mit Tiefgang, ohne so schwerfällig oder kitschig zu werden, wie viele andere philosophische Romane.
urlaubsbille
Beiträge: 23
Registriert: Di 18. Nov 2008, 19:55
Wohnort: Rotenburg (Wümme)

Beitrag von urlaubsbille »

Es ist ein kurzweiliger Liebesroman, der etwas verworren anmutet, aber dann doch klar zum Ende führt.
Mit einer Portion Humor und Ironie ist die Sprache leicht verständlich und gut nachvollziehbar. Mir hat das Buch Spaß gemacht, und einen kurzweiligen Tag beschert.
LilStar
Beiträge: 50
Registriert: Do 13. Nov 2008, 16:35

Beitrag von LilStar »

Boris Moser hat eine Agentur für verworfene Ideen. Ein Lebenstraum, den er sich erfüllt hat. Als eines Tages die schöne Rebecca in den Laden kommt, versucht er sie zu beeindrucken indem er ihr einen verworfenen Romananfang erzählt.
Mit dieser Erzählung beginnt dann die zweite Geschichte. Eine Geschichte über eine Frau namens Sophia, in der die Leute immer das sehen, was ihnen gerade fehlt oder was ihnen helfen würde. Allerdings ist Sophia nun selbst in Not, denn sie ist umgefallen und der Arzt Sebastian sitzt nun an ihrem Bett, als die Bewusstlose anfängt mit ihm zu sprechen und ihm eine Geschichte erzählt.
Diese Geschichte handelt von Sophia selbst und wie sie einmal für einen alten Mann gearbeitet hat, für den den sie seinen Roman tippen sollte.
In diesem Roman ging es um Heiner, der beinahe den Sinn des Lebens entdeckt hätte und um Wolf, der verhinderte, dass Heiner je den Sinn des Lebens entdecken und sein Ergebnis auch veröffentlichen konnte.
Am Ende lösen sich die einzelnen Geschichten schön wieder ineinander auf und es ist gut nachvollziehbar, was nun wo gerade passiert ist.

Die Idee an sich, mehrere Geschichten in einer unterzubringen fand ich nicht schlecht. Eigentlich sogar recht gut. Allerdings waren mir diese Geschichten einfach ein bisschen zu wenig, zu sinnlos um das Gesamtwerk wirklich als gut zu bezeichnen.
Natürlich, ein wenig philosophisch ging es zu, man konnte sich Gedanken über kleine Dinge machen. Aber die habe ich mir einfach nicht gemacht, denn das Buch hatte einfach keinen so großen Eindruck auf mich hinterlassen, dass ich mich dazu veranlasst gefühlt hätte. Leider.

Für mich bleibt dieses Buch so einfach völlig flach und farblos. Etwas, woran ich mich wohl nach einigen Tagen nicht mehr wirklich erinnern werden. Die wenigen Seiten waren wirklich einfach zu wenig für so viel Inhalt.
brasida
Beiträge: 32
Registriert: Mi 3. Dez 2008, 15:55

Tag oder Nacht ist hier egal

Beitrag von brasida »

Inhalt:
Boris Moser ist Gründer, Inhaber und bester Kunde der Agentur für verworfene Ideen.
Durch einen Zufall macht er die Bekanntschaft von Rebecca Kron. Sie kommen ins Gespräch und Boris erläutert ihr, was das Fatale an Romananfängen für seine Branche ist.
Boris selber hat einen Romananfang geschrieben und auf Drängen von Rebecca beginnt er daraus zu erzählen ?

Meine Meinung:
Eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte.
"Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht" ist kein flacher Roman, sondern eine in sich verschachtelte Geschichte.
Für mich stellt die Rahmenhandlung von Boris und seiner Agentur für verworfene Ideen hierbei die Perlmuttschale einer Muschel dar. Die Geschichte von Sophia, die von Boris erdacht wurde ist für mich die wertvolle Perle in der Muschel. Alles was ab dieser Stelle folgt, wie die Geschichte um Wolf und Heiner, die Sophia diktiert wird, ist jedoch das störende Sandkorn. Es ist noch keine Perle, wird vielleicht auch nie eine werden und ist für mich im Moment nur störender Schmutz, der bei der Betrachtung der Perle stört.
Die Grundidee des Romans ist sehr ungewöhnlich, schön und fesselnd.
Aber die Längen im Mittelteil, haben mir das Lesevergnügen doch sehr genommen und es viel mir schwer, mich auf den Text zu konzentrieren.
Jakob Hein gelingt es stellenweise sehr gut, einfühlsame Passagen zu schaffen, doch kommt der äußere Geschichtenrahmen einfach viel zu kurz. Ich hätte lieber auf die innen gelagerten Geschichten verzichtet und dafür mehr von Sophia, Rebecca und Boris erfahren.

Fazit:
Weniger Geschichten in einem Roman wäre hier eindeutig mehr gewesen.
Stephi
Beiträge: 15
Registriert: Fr 6. Mär 2009, 16:46

Beitrag von Stephi »

Boris ist Inhaber einer Agentur für verworfene Ideen. Er trifft auf Rebecca. Beide kennen sich nicht, aber es entsteht ein interessanten Gespräch zwischen beiden, was die Grundlage für den weiteren Verlauf des Buches bildet. Ihre Gesprächsthemen sind unterschiedlichster Art, die Themenwechsel kann man vielleicht nicht immer nachvollziehen, aber dennoch lässt sich dem Gespräch ohne große Mühe folgen. Der Leser bekommt einen tiefen Einblick in Boris? Gedankenwelt und hat somit die Möglichkeit, ihn einerseits ziemlich gut kennen zu lernen und andererseits seine Denkweise zu verstehen.

Das Besondere am Buch Jakob Heins ist der Aufbau. Innerhalb der eigentlichen Handlung werden zwei weitere Geschichten erzählt ? es gibt eine Handlung in der Handlung in der Handlung. Das hört sich im ersten Moment vielleicht ungewöhnlich an und es stellt sich sicher die Frage, ob das funktionieren kann ? die Antwort ist ganz einfach: Ja!

Boris liest Rebecca einen von ihm verfassten Romananfang vor, welcher wiederum den Anfang eines Buches beinhaltet. Durch dieses Aufmachen von neuen Geschichten erzeugt Hein immer wieder Spannung. Glücklicherweise sind wirklich alle Teilgeschichten sehr gelungen und haben mich wirklich in ihren Bann gezogen. Alle sind sehr tiefgründig, zum Teil bewegend und ziemlich philosophisch angehaucht (die Frage nach dem Sinn des Lebens wird gestellt).

Man bekommt als Leser nicht das Gefühl, dass die Verknüpfung der einzelnen Geschichten aufgesetzt ist. Im Gegenteil ? der Lesefluss wird positiv beeinflusst und der Überraschungsmoment erhöht den Spaß an dem Buch.

Auch die Rückkehr zur Ausgangsgeschichte und damit zu Boris und Rebecca ist sehr gelungen. Nach und nach schließen sich die anderen Handlungsstränge und man erfährt endlich, wie es mit Boris und Rebecca weiter geht. Natürlich war dies von Anfang an die Hauptfrage, aber der Einschub der anderen Geschichten war trotzdem in keiner Weise störend.

?Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht? ist ein sehr tiefgründiges, ruhiges Buch, was trotzdem sehr unterhaltsam ist und mit Sicherheit zum Nachdenken anregt. Absolute Empfehlung!
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