Ildy Bach: Die Stieftochter. Thriller

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Vandam
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Ildy Bach: Die Stieftochter. Thriller

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Ildy Bach: Die Stieftochter. Thriller, München 2021, dtv Verlagsgesellschaft, ISBN 978-3-423-26225-5, Klappenbroschur, 397 Seiten, Format: 13,5 x 4 x 21,1 cm, Buch: EUR 15,90 (D), EUR 16,40 (A), Kindle: EUR 12,99, auch als Audio-CD lieferbar.

„Die Schubladen-Falle ... (...) Und sie war mit Volldampf hineingetappt. Dabei gehörte es zu den Grundlagen ihrer Arbeit, Menschen nicht vorschnell in bestimmte Kategorien einzuordnen. Aber genau das, dachte sie, habe ich im Fall meiner Familie getan: Becca war die böse Stiefmutter, Annabelle die verwöhnte Prinzessin, Frank der geschäftstüchtige Überflieger. Und wer oder was bin ich? – Du bist die Frau, die keine Rolle spielt, spottete ein imaginärer Eric.“ (Seite 127)

O – das habe ich mir alles ’ne Nummer kleiner vorgestellt! Aber von vorn:

Frankfurt, 2018: Theresa „Tessa“ Gretzky, 28, Juristin, ist ein harter Brocken. Offiziell arbeitet sie „für eine Stiftung“, womit sie ihre häufigen beruflichen Auslandsreisen erklärt. In Wahrheit ist das, was sie macht, eine nicht näher verortete geheimdienstliche Tätigkeit. Ihre Familie ist jedoch mit Tessas vagen Erklärungen zufrieden. Im Grunde ist es ihnen egal, weil sowieso jeder nur um sich selbst kreist. Und Freunde hat Tessa kaum.

Aufgewachsen ist Tessa Gretzky in einer vornehmen Villa. Ihre Eltern haben/hatten eine Privatklinik für plastische Chirurgie, in der auch ihr älterer Bruder Frank als Arzt tätig ist. Ihre Schwester Annabelle ist mit einem ehrgeizigen Politiker verheiratet, mit dem sie drei Kinder hat. Tessa hat sich in ihrer Familie nie richtig wohlgefühlt, weil es immer nur um Geld, Erfolg und den äußeren Schein ging.

14 Jahre ist es nun her, dass ihr Vater ihre Mutter für die vermögende Schauspielerin Rebecca Sandmann verlassen hat. Drei Jahre später war er tot – erschossen in der eigenen Villa. Als Täterin verhaftet und verurteilt wurde seine Frau Rebecca, die man in völlig verwirrtem Zustand im Garten des Hauses gefunden hat.

Erst kann Rebecca sich nicht an die Geschehnisse des Abends erinnern, und als sie sich schließlich dazu in der Lage sieht, die Vorgänge aus ihrer Sicht zu schildern, glaubt ihr keiner mehr.

Rebecca – eine Mörderin?
Zehn Jahre lang hat sie aus dem Gefängnis heraus jeweils zum Todestag ihres Mannes an ihre Stieftochter Tessa geschrieben. Vermutlich hat sie in den Briefen ihre Unschuld beteuert. Wir wissen es nicht, weil Tessa alle Briefe ungeöffnet weggeworfen hat und Rebecca sich nicht mehr äußern kann. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis ist sie schnurstracks in die Gretzky-Villa gefahren – die seit Jahren rechtmäßig ihr gehört – wo sie noch am selben Abend von Unbekannten überfallen worden ist und seitdem im Koma liegt.

Tessa, die, wie der Rest der Familie, von Rebecca nur immer als von „der Person“ spricht und in ihrem Leben noch keine drei Sätze mit ihr gewechselt hat, ist völlig überrumpelt, als sie erfährt, dass ihre Stiefmutter ausgerechnet sie dazu bevollmächtigt hat, ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln, falls sie selbst dazu nicht mehr in der Lage wäre.

Die Vollmacht
Ihr erster Impuls ist, diese Vollmacht empört zurückzuweisen. Doch seltsamerweise redet ihr Chef ihr zu. Und hat sie nicht in ihrem Job gelernt, genau hinzuschauen und nicht die erstbeste Erklärung zu akzeptieren? Sie nimmt also die Aufgabe an, kümmert sich um Rebeccas medizinische und private Belange und forscht nach, ob damals wirklich alles so war, wie es den Anschein hatte. Ihre Vollmacht sowie ihre beruflichen Kontakte und Fähigkeiten öffnen ihr dabei so manche Tür.

Tessa beginnt zu zweifeln
Je mehr Informationen Tessa zusammenträgt, desto stärker zweifelt sie an Rebeccas Schuld – und desto schlechter steht auch ihre dysfunktionale Familie da. Stellenweise kommt man sich hier vor wie in einer US-amerikanischen TV-Seifenoper der 1980er-Jahre. Was für eine Ansammlung von widerwärtigen, egoistischen und intriganten Unsympathen! Auch mit Tessa bin ich nicht so recht warm geworden. Der einzige Mensch, dem ich etwas Sympathie entgegenbringen konnte, hat 11 Jahre im Knast gesessen.

Eingestreut in die Story von Tessas Nachforschungen über den Mord an ihrem Vater und den Mordversuch an ihrer Stiefmutter ist die Geschichte von illegalen ... sagen wir mal: Veranstaltungen. Man fragt sich, was das hier soll und wie die brutalen Unterwelt-Aktivitäten mit der schnöseligen Familie Gretzky in Zusammenhang stehen könnten. Das klärt sich erst ganz zum Schluss, wobei mich die Zusammenführung der beiden Handlungsstränge nicht restlos überzeugt hat. War das eine Notkonstruktion? So rein juristisch gesehen ...?

Eine fürchterliche Familie
Ich hätte diese Nebenhandlung nicht gebraucht. Für mich war die ehrenwerte Familie Gretzky brutal, bösartig und gruselig genug. Da hätte ich jedem zugetraut, dass er/sie über Leichen geht! Und wenn wirklich eine*r oder mehrere von denen eine unschuldige Frau gelinkt und geopfert haben, dann wollte ich unbedingt erleben, dass man diejenige/n zur Verantwortung zieht. Deswegen habe ich wie besessen gelesen. Auch wenn es mir zu viel filmgerechte Action war und ich bei all den Anwälten, Ärzten, Psychologen, Geheimdienst- und Ermittlungsbeamten zweitweise den Überblick verloren habe.

Spannung, Action, Seifenoper
Spannend war’s! Das kann ich mit Fug und Recht behaupten. Und wie man allein durch Gesprächsprotokolle und die Aussagen Dritter Tessas Stiefmutter Rebecca nahe kommt, das ist toll gemacht. Von der Aufklärung der beiden Fälle – Mord und Mordversuch – hatte ich mir allerdings etwas mehr erhofft. Erst wird eine Riesenwelle gemacht, und dann ist das Böse wieder mal erschreckend banal.

Für meinen Geschmack enthält der Thriller trotz aller Spannung ein bisschen zu viel Seifenoper und Actionkino. Mir sind bodenständigere Geschichten einfach lieber.

Die Autorin
Ildy Bach hat einen klassischen Bühnenberuf gelernt und viele Jahre am Theater gearbeitet. Gemeinsam mit ihrer Partnerin schreibt sie neben (Kriminal-)Romanen auch Kinder- und Jugendbücher, Theaterstücke sowie Stoffe für Film und Fernsehen. Ildy Bach ist ein Pseudonym.
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