Rosanne Parry: Als der Wolf den Wald verließ (ab 9 J.)

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Vandam
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Rosanne Parry: Als der Wolf den Wald verließ (ab 9 J.)

Beitrag von Vandam »

Rosanne Parry: Als der Wolf den Wald verließ (ab 9 J.), OT: A Wolf Called Wander, aus dem Englischen von Petra Knese, Münster 2020, Coppenrath Verlag, ISBN 978-3-649-63475-1, Hardcover, 208 Seiten mit zahlreichen s/w-Illustrationen von Monica Armiño, Format: 14,8 x 2,5 x 21,6 cm, Buch: EUR 14,00 (D), EUR 14,40, (A), Kindle: EUR 10,50.

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„Eine warmherzige Geschichte nach einer wahren Begebenheit, die Verständnis für alle Auswanderer weckt – nicht nur die Vierbeinigen.“ – So steht es im Klappentext. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dieses Kinderbuch als Auswanderergeschichte zu lesen. In meinen Augen ist der junge Wolf „Flink“, der die Geschichte erzählt, eher ein Geflüchteter.

Ein zahlen- und kräftemäßig überlegenes feindliches Wolfsrudel überfällt seine Familie in den Wallowa-Mountains in Oregon/USA. Beim Versuch, einen der Eindringlinge von den Welpen seines Rudels abzulenken, läuft Flink so weit von seinem alten Revier weg, dass es eigentlich nur noch eines gibt: weiterziehen – mit unbekanntem Ziel. Zurückkehren ist im Grunde keine Option. Ob sein Rudel – Eltern, Geschwister, Onkel und Tante – überhaupt noch leben, weiß er nicht. Die Chance ist eher gering. Und wenn er zurück in sein altes Revier ginge, müsste er sich dort den Eindringlingen unterwerfen, und das will er nicht. Da sucht er sich lieber was Neues.

„Hell leuchtet der Wolfsstern über meinem Revier. Da kenne ich jeden verborgenen See und jeden Höhenzug. Aber wenn mein Rudel nicht mehr in den Bergen lebt, ist es nicht mehr mein Zuhause.“ (Seite 48)

Ein einsamer Wolf auf der Flucht
Im Jagen ist Flink noch nicht besonders geübt. Und alleine, ohne die Hilfe der Rudelmitglieder, klappt das auch nicht gut. Wölfe sind nun mal Rudeltiere und jagen auch im Rudel. Und so endet für Flink der Angriff auf einen Hirsch mit einer schweren Verletzung. Mit den Hufen reißt die „Beute“ ihm die Schulter auf. Wäre Flink noch in seinem Rudelverband, würden ihn die anderen jetzt bis zu seiner Genesung durchfüttern und sich um ihn kümmern. Aber ist er allein und hat als zeitweisen Reisegefährten nur einen ebenfalls lädierten Raben.

Eine kurze Begegnung mit Artgenossen, während der er auch seinen Lieblingsbruder Flausch wiedertrifft, endet leider damit, dass ein Mensch auf sie schießt. Die Tiere flüchten in verschiedene Richtungen und Flink ist wieder allein.

Immer noch gesundheitlich angeschlagen, durchquert er den Hell’s Canyon und macht dabei einen weiten Bogen um die Menschen. Wer hätte gedacht, dass deren „Krachmacher“ (Autos) auf dem „Schwarzen Fluss“ (Straße) auch mal zu etwas gut sind? Ein Hirsch, der von einem Fahrzeug angefahren wurde, wird für Flink zur rettenden Mahlzeit.

„Flink“ wandert und lernt
Der junge Wolf durchquert Landschaften, die ihm fremd sind, trifft auf Tiere und Pflanzen, die er noch nie zuvor gesehen hat und lernt aus Erfahrung. Ein neugeborenes Fohlen aus einer Wildpferd-Herde wäre bestimmt schmackhaft, aber es hat eine große Verwandtschaft mit Hufen. Die Begegnung mit ihnen könnte noch schlimmer für Flink ausgehen als die mit dem Hirsch.

Flink ist einsam und hat Heimweh. Die einzige Artgenossin, der er in letzter Zeit getroffen hat, die schwarze Wölfin, verliert er schnell wieder aus den Augen. Doch das ist bald sein geringstes Problem. Ein Blitzschlag löst einen Waldbrand aus und alle Tiere sind auf der Flucht. Aber wohin soll man rennen, wenn man sich nicht auskennt und der Rauch den Geruchssinn trübt? In höchster Not fällt Flink ein Rat seines Onkels Knurre ein ...

Die Geschichte ist spannend und auch ein bisschen düster. Sie beruht nun mal auf wahren Ereignissen, und das Leben ist nicht immer nett. Die Vorstellung, plötzlich die ganze Familie zu verlieren, sich mutterseelenallein durch die gefährlich Wildnis kämpfen und ein neues Zuhause suchen zu müssen, könnte für junge Leser*innen durchaus beängstigend sein. Zu deren Beruhigung sei gesagt: Für Flink geht es gut aus.

Mit Sachinformationen im Anhang
Im Anhang gibt’s noch allerhand Sachinformationen über die Wildtiere und Pflanzen, die in dem Buch eine wichtige Rolle spielen – und über den Wolf „OR-7“, der das reale Vorbild für den Romanheld Flink war. Auf einer Landkarte kann man sehen, wie er von den Wallowa-Mountains im Nordosten von Oregon 1.600 km weit durch den Osten und Süden des Landes bis nach Nord-Kalifornien gewandert ist. Das weiß man so genau, weil Forscher ihn mit einem Sendehalsband ausgestattet hatten. Da man in diesem Beitrag auch Fotos von OR-7s Nachkommen sehen kann, besteht eine gewisse Chance, dass auch Flinks Wunsch in Erfüllung geht:

„Wie in unserem Rudel gehen alle liebevoll miteinander um. Der Vater wirft einen Blick auf seine Familie und schnaubt vor Stolz. So will ich das auch! Ich werde mich nicht mit dem nächstbesten Rudel begnügen, das mich aufnimmt. Ich will ein Wolfsvater sein. (...) Ich will ein Revier. Ich will mein eigenes Zuhause markieren, ein schönes Zuhause voller Bäume und Hirsche.“ (Seite 141)

Die Illustratorin hat mindestens so gut recherchiert wie die Autorin – die zahlreichen Bilder sind sehr detailreich und naturgetreu.

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Abb.: Monica Armiño / Coppenrath Verlag

Als erwachsene Leserin fand ich das Buch spannend und informativ. Ich bin mir aber, wie gesagt, nicht sicher, ob es junge Leser*innen nicht verstören könnte. Aber vermutlich sind die Kinder von heute deutlich härter im Nehmen als wir früher. (Ich fand als Kind schon Walt Disney’s BAMBI zum Heulen.) Ob ALS DER WOLF DEN WALD VERLIESS für ein bestimmtes Kind als Lektüre in Frage kommt, werden die Erwachsenen in dessen Umfeld beurteilen müssen.

Die Autorin
Rosanne Parry lebt mit ihrer Familie in einem alten Bauernhaus in Portland, Oregon, USA. Ihr Großvater wurde in Berlin geboren und emigrierte als Teenager nach Amerika. Rosanne Parry hat vier Kinder, manchmal auch einige Hühner und Kaninchen. Die mehrfach preisgekrönte Autorin schreibt ihre Bücher am liebsten in einem Baumhaus in ihrem verwilderten Garten.

Die Illustratorin
Monica Armiño ist eine spanische freiberufliche Illustratorin. Sie hat einen Abschluss in Bildender Kunst und lebt in Madrid. Sie hat mehrere Bücher bei verschiedenen Verlagen in Europa und den USA illustriert. Sie arbeitet auch für die Zeichentrickindustrie als Charakterdesignerin, Hintergrundkünstlerin sowie Farb- und Texturkünstlerin. http://monicaarmino.com

Die Übersetzerin
Petra Knese wurde 1967 geboren und studierte Anglistik und Nordamerikanistik an der Freien Universität Berlin. Sie ist eine freiberufliche Übersetzerin und lebt mit ihrer Familie in Berlin.
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