Vashti Hardy: Das Wolkenschiff. Aufbruch nach Südpolaris (ab 10. J.)

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Vandam
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Vashti Hardy: Das Wolkenschiff. Aufbruch nach Südpolaris (ab 10. J.)

Beitrag von Vandam »

Vashti Hardy: Das Wolkenschiff. Aufbruch nach Südpolaris (ab 10. J.), OT: Brightstorm. A Sky-Ship-Adventure, aus dem Englischen von Doris Attwood, München 2020, Ars Edition, ISBN 978-3-8458-3032-2, Hardcover, 311 Seiten, Format: 15,2 x 2,8 x 22 cm, Buch: EUR 15,00.

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Wäre DAS WOLKENSCHIFF ein Film und kein Buch, wäre es erstklassiges Popcorn-Kino. Ein temporeicher Mix aus Steampunk und Fantasy, so ein bisschen im Stil von DER GOLDENE KOMPASS. Würde man jedoch während dieses Kinofilms kurz mit seinem Sitznachbarn quatschen oder sich allzu intensiv seinem Popcorn widmen, hätte man mit Sicherheit eine verblüffende Wendung verpasst. Zum Glück kann man beim Lesen das Tempo selbst bestimmen.

Ein Mix aus Steampunk und Fantasy
Die Hauptpersonen sind die zwölfjährigen Zwillinge Arthur und Marie Brightstorm aus Lontown. Ihre Mutter, Violetta, ist jung gestorben, ihr Vater, der aus einfachen Verhältnissen stammt, hat sich zum Entdecker hochgearbeitet. Derzeit ist er im Auftrag der Geografischen Gesellschaft auf einer Expedition nach Südpolaris, dem südlichsten Teil der Welt, den noch kein Mensch zuvor betreten hat. Die Zwillinge sind derweil mit Haushälterin Miss Wilder allein daheim.

Die technisch begabte Marie Brightstorm träumt davon, Ingenieurin zu werden wie ihre Mutter. Ihr impulsiver Bruder Arthur ist noch nicht so festgelegt. Vielleicht wird er ja Entdecker wie sein Vater. Er weiß, dass er sehr gut darin ist, Probleme zu lösen. Notgedrungen, denn er hat ein Handicap, für das uns im Lauf der Geschichte verschiedene hochdramatische „Erklärungen“ geliefert werden, von denen aber keine stimmt: Arthur fehlt der rechte Arm. Stattdessen trägt er eine von seiner Schwester entwickelte eiserne Prothese. Das stört ihn nicht groß, er kennt es ja nicht anders.

Schlimme Nachrichten für die Zwillinge
So geht alles einen geregelten Gang. Doch „Kontrolle ist nur eine Illusion. Wir wissen nie, was das Leben für uns bereithält.“ (Seite 297) Keine der Expeditionsmannschaften, die nach Südpolaris aufgebrochen sind, hat ihr Ziel erreicht. Sogar die knallharte Entdeckerin Eudora Vane musste mit ihrem Wolkenschiff „Victoria“ umkehren. Und sie hat schlimme Nachrichten für die Geografische Gesellschaft und Brightstorm-Kinder: Ernest Brightstorm und seine Crew sind auf dem eisigen Dritten Kontinent umgekommen. Sie wurden von wilden Tieren getötet. Aber zuvor haben sie sich noch am Entdeckergeist versündigt: Sie haben die Brennstoffvorräte der „Victoria“ gestohlen. Jetzt ist Ernest nicht nur mit seiner Forschungsreise grandios gescheitert, er ist auch als Dieb und Versager entehrt.

Dadurch verliert seine Familie Brightstorm ihren Versicherungsschutz und all ihr Hab und Gut. Die Zwillinge landen in den „Slumps“, dem örtlichen Elendsviertel. Dort hausen sie unter unwürdigen Bedingungen bei den habgierigen Eheleuten Beggins. Marie muss in der Schiffswerft schuften, Arthur den Haushalt schmeißen. Geld sehen die Kinder für ihre Arbeit natürlich keines, das sacken die Beggins‘ ein.

Aus ist der Traum vom Leben als Ingenieurin bzw. Entdecker! Und den Namen ihres Vaters können die Zwillinge aus dieser Position heraus auch nicht reinwaschen. Denn eines ist ihnen klar: Nie im Leben hätte ihr Papa die Expedition eines Mitbewerbers sabotiert und ihm Treibstoff gestohlen. Nicht einmal, wenn es sich bei der Konkurrenz um die hinterhältige und skrupellose Eudora Vane gehandelt hätte.

Auf der Suche nach dem verschollenen Vater
Mit dem Mut der Verzweiflung bewerben sich die Zwillinge heimlich als Mannschaftsmitglieder einer weiteren Südpolaris-Expedition. Harriet Culpfeffer, die blutjunge Expeditionsleiterin, ist zunächst skeptisch, lässt sich aber überzeugen. Doch gibt es eine Reihe von Leuten, die mit aller Macht zu verhindern versuchen, dass Arthur und Marie an dieser Expedition teilnehmen und bei der Gelegenheit nach ihrem verschollenen Vater suchen. Die einen haben was zu verlieren, die anderen was zu verbergen.

Trotz enormer Hindernisse schaffen es die Zwillinge, buchstäblich in letzter Sekunde an Bord des Wolkenschiffs „Aurora“ zu kommen, das man sich wie eine kuriose Mischung aus Zeppelin, Ballon und einem fliegenden viktorianischen Wohnhaus vorstellen muss. Ach ja, und mit einem modernen, nachhaltigen und umweltfreundlichen Antrieb, von dem weder die Konkurrenz noch die Geografische Gesellschaft etwas weiß.

Dies ist der Auftakt zu haarsträubenden Abenteuern.

Zunächst läuft alles prima …
Eigentlich sollte der neuartige Antrieb der „Aurora“ einen Vorsprung sichern, und zunächst sind Kapitänin Harriet Culpfeffer und die Besatzung auch guter Dinge. Sie treffen auf fremde Kulturen und hilfsbereite Herrscher, entdecken atemberaubende Landschaften und fremdartige Tiere. Mit manchen von denen kann man sogar auf telepathischem Wege kommunizieren. Als sie auf die Überreste von Ernest Brightstorms havariertem Wolkenschiff „Violetta“ stoßen, haben sie sogar die Hoffnung, dass er das Unglück überlebt haben könnte. Nur dass die Zwillinge, nachdem sie die „Violetta“ in Augenschein genommen haben, nicht mehr an einen Unglücksfall glauben …

Auch wenn ihnen die Expedition durch den unfassbar kalten Dritten Kontinent alles abverlangt: Für Arthur und Marie sieht es gut aus: Wenn sie tatsächlich ihren Vater finden, könnte er alles erklären und rehabilitiert werden. Sie bekämen ihr Eigentum zurück, wären wieder eine Familie und hätten ein Zuhause. Wenn ihnen das Glück treu bliebe, würden sie es vielleicht wirklich vor ihren Konkurrenten zum Südpol schaffen und das Preisgeld der Geografischen Gesellschaft gewinnen.

… doch einer spielt falsch
Es gibt da nur ein Problem: Einer der Mitbewerber spielt nicht fair. Und das hat einen tieferen Grund, von dem die Zwillinge allerdings nichts ahnen …

Auch wenn man deutlich älter ist als die angepeilte Zielgruppe der Zehnjährigen, kann man das Buch kaum weglegen. Die Autorin hat eine unglaubliche Phantasie und kann das, was sie sich vorstellt, so lebhaft schildern, dass auch wir Leser*innen das „sehen“.

Sehr erfreulich: Es gibt starke, kluge und erfolgreiche Frauen und Mädchen. Schurkinnen allerdings auch. Wenn Frauen nahezu alles können, was Männer können, gehört Bosheit und Gemeinsein natürlich dazu.

Fortsetzung folgt
Für psychologische Grautöne bleibt, wie so oft bei actionreichen Geschichten, keine Zeit. Die Guten sind gut und die Bösen sind böse, basta. Manchmal zeigt sich schon am Namen, zu welcher Fraktion eine Person gehört. Gut, die jungen Leser*innen wird das nicht stören, und vielleicht kommt es ja auch noch zu der einen oder anderen unerwarteten Wandlung.

Zwar ist der Roman in sich abgeschlossen, doch am Schluss deutet sich eine Fortsetzung an. Und das ist gut so, denn wirklich fertig sind die Zwillinge mit ihren Gegenspielern noch nicht. Da geht noch was …!

Die Autorin
Bevor Vashti Hardy Schriftstellerin wurde, arbeitete sie mehrere Jahre als Grundschullehrerin. Schon damals hat sie mit ihren Schulkindern am liebsten fantastische Geschichten erfunden und aufgeschrieben. Später machte sie einen Abschluss in Kreativem Schreiben an der University of Chichester und arbeitete anschließend als Marketingleiterin. „Das Wolkenschiff“ ist ihr erster Roman. In England wurde das Buch von der Bookseller Association als „Book of the Season Spring 2018“ ausgezeichnet und stand außerdem auf der Shortlist des Waterstone’s Children’s Book of the Year Prize. Vashti Hardy ist Mitglied der „Golden Egg Academy“ (einer Vereinigung britischer Schriftsteller) und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von Brighton in Sussex.

Die Übersetzerin
Doris Attwood ist Diplom-Übersetzerin. Nach ausgedehnten Reisen durch Neuseeland und Kanada arbeitet sie nun seit vielen Jahren als freiberufliche Übersetzerin. Am liebsten übersetzt sie Kinder- und Jugendbücher, aber auch Filmuntertitel und Drehbücher, Fantasy-Romane und Reiseführer.
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